Zehntausende marschieren in Hongkong gegen Regierung

DPA
HONGKONG
Veröffentlicht 16.06.2019 15:24
AFP

Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong kommt nicht zur Ruhe: Trotz einer Ankündigung der Regierung, ein umstrittenes Gesetz zur Auslieferung mutmaßlicher Straftäter an China auf Eis zu legen, ist erneut ein großer Protestzug mit Zehntausenden Menschen durch die Finanzmetropole gezogen.

Die weitgehend schwarz gekleideten Demonstranten forderten ein komplettes Aus für das Auslieferungsgesetz. Viele Protestler, die vom Viktoria Park in der Innenstadt zum Regierungssitz gezogen waren, verlangten außerdem den Rücktritt von Regierungschefin Carrie Lam. Die heute 62-Jährige ist seit Juli 2017 im Amt. Sie ist die erste Regierungschefin in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Den Amtseid nahm ihr Chinas Präsident Xi Jinping ab. Peking drückte am Samstag für die Entscheidung Lams «Unterstützung, Respekt und Verständnis» aus, wie es in einer Mitteilung des chinesischen Außenministeriums hieß.

Nach Massenprotesten in den vergangenen Tagen hatte Lam am Samstag angekündigt, Beratungen über das Gesetz vorerst auszusetzen. Eigentlich sollte die Peking-treue Parlamentsmehrheit das Gesetz am kommenden Donnerstag annehmen. Lam begründete ihre Entscheidung damit, dass es in der Öffentlichkeit immer noch Bedenken und Zweifel an der Gesetzesvorlage gebe. Außerdem müsse wieder Ruhe in die Stadt einziehen.

Das Auslieferungsgesetz würde Hongkongs Behörden erlauben, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Volksrepublik auszuliefern. Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene als Werkzeug der politischen Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlungen.

«Diese Gesetzesvorlage wird Auswirkungen auf Hongkongs Zukunft haben, und ich bin erst 19 Jahre alt», sagte Demonstrantin Christy Cheng. «Ich denke, Carrie Lam schuldet uns eine Entschuldigung», sagte die 23-Jährige Maggie Suen, die sich ebenfalls dem Protestmarsch angeschlossen hatte. Demonstranten hatten Lam auch übel genommen, dass sie die Proteste am Donnerstag als «Aufruhr» und als «eindeutig organisiert» bezeichnet hatte.

Bei einem Massenprotest vor einer Woche hatten nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen Hunderttausenden und einer Million Hongkonger gegen das Vorhaben der Regierung demonstriert. Es war nach Einschätzung von Beobachtern die größte Demonstration in Hongkong seit dem Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking vor drei Jahrzehnten am 4. Juni 1989. Danach kam es am Mittwoch zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, bei denen 81 Menschen verletzt wurden.

Mit einer weißen Blumen gedachten am Sonntag viele Menschen eines am Vortag gestorbenen Demonstranten. Hongkongs Polizei teilte auf Anfrage mit, dass es sich um einen Selbstmord gehandelt habe. Wie lokale Medien berichteten, war der Mann am Samstag auf ein Baugerüst an einem Einkaufszentrum geklettert, wo er zunächst Protestbanner gegen das Gesetz für Auslieferungen an China und Regierungschefin Carrie Lam anbrachte.

Nachdem er mehrere Stunden auf dem Gerüst ausgeharrt hatte, kletterte er über die Brüstung und stürzte in die Tiefe. Zuvor versuchten Rettungskräfte den 35-Jährigen zu überzeugen herunterzuklettern. Auf Fotos ist ein gelbes Luftkissen zu sehen, dass die Feuerwehr vor dem Gerüst entfaltet hatte. Hongkonger legten später Blumen vor dem Einkaufszentrum nieder.

Regierungschefin Lam machte am Samstag deutlich, dass das Gesetz nicht komplett vom Tisch ist. Es seien jedoch weitere Beratungen notwendig. «Wir haben nicht die Absicht, eine Frist für diese Arbeit festzulegen», sagte sie.

Lam argumentierte bislang, das Gesetz sei notwendig, um «Schlupflöcher» zu schließen. Hongkong dürfe kein sicherer Hafen für Kriminelle sein. Das Gesetz würde Überstellungen mutmaßlicher Straftäter an China und andere Länder ermöglichen, mit denen Hongkong bisher kein Auslieferungsabkommen hat. Es wurde auf einen Fall verwiesen, bei dem ein Mann seine schwangere Freundin in Taiwan umgebracht hatte, aber nicht von Hongkong ausgeliefert werden konnte.

Das demokratische Taiwan hat aber bereits angekündigt, keine Auslieferungen beantragen zu wollen, weil es das Gesetz ebenfalls für bedenklich hält.

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» als eigenes Territorium autonom regiert. Anders als die Menschen in der Volksrepublik genießen die Hongkonger nach dem Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit.

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