Apotheker soll 61.980 Mal Krebsmedikamente gepanscht haben

DPA
ESSEN
Veröffentlicht 19.07.2017 00:00
Aktualisiert 19.07.2017 18:03
Archivbild (DPA)

Allein die Masse der angeklagten Einzelfälle gibt Rätsel auf: Ein Apotheker aus Bottrop soll in fast 62.000 Fällen Krebsmedikamente massiv verdünnt und so die Krankenkassen um 56 Millionen Euro betrogen haben.

Mehr als 1000 Krebspatienten bekamen Mittel für Chemotherapien und andere Medikamente, die laut Anklage kaum oder gar nicht wirkten. Am Mittwoch hat die Staatsanwaltschaft diese und weitere Details zur Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker bekannt gegeben. Patientenschützer sind alarmiert und fordern eine schärfere Überwachung der rund 300 Schwerpunktapotheken für Krebspatienten in Deutschland

820 Seiten dick ist die Anklage, die beim Landgericht Essen liegt. Die Richter müssen prüfen und entscheiden, ob sie das Strafverfahren gegen den Apotheker eröffnen. Von 61 980 besonders schweren Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz geht die Staatsanwaltschaft aus. Einige Fälle der versuchter Körperverletzung sowie des gewerbsmäßigen Betrugs kommen hinzu.

Die Apotheke in Bottrop war bis zum Bekanntwerden der Vorwürfe eine sogenannte Onkologie-Schwerpunktapotheke. Solche Apotheken verfügen über sterile Labore und versorgen Patienten individuell mit krebshemmenden Medikamenten.

Der Beschuldigte habe «die Beschaffungspraxis seiner Apotheke systematisch so ausgerichtet, dass es von vornherein unmöglich war, die große Vielzahl der von ihm vertriebenen Zubereitungen mit den verschriebenen Wirkstoffen in den verschriebenen Mengen herzustellen», heißt es in der Anklage. Seine Patienten bekamen Medikamenten mit viel zu wenig Wirkstoff. Zahlreiche Betroffene und Hinterbliebene haben Strafanzeige erstattet.

Patientenvertreter fordern Konsequenzen und schärfere Kontrollen für solche Apotheken, die selbst Medikamente herstellen. «Die Kontroll-Regeln für Schwerpunkt-Apotheken sind miserabel», kritisiert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) müsse die gesetzlichen Regelungen verschärfen.

«Das Risiko, bei einem solchen Betrug entdeckt zu werden, muss größer werden», fordert auch Jürgen Heckmann von der Deutschen Ilco/Darmkrebs-Selbsthilfegruppe. Der Paritätische Wohlfahrtsverband verlangt in einer Petition, es müsse regelmäßige unangekündigte Überprüfungen geben, «eine Plausibilitätskontrolle des Wareneingangs und Warenausgangs». Nicht verwendete Präparate müssten stichprobenartig kontrolliert werden.

«Wir setzen zu sehr auf Vertrauen», findet Brysch. «Dahinter stecken tausende Schwerstkranke, die die Hoffnung hatten, durch die individuelle Krebstherapie Heilung oder mehr Lebenszeit zu erhalten.»

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