Bischof: System Kirche schuld am Missbrauchsskandal

AFP
BERLIN
Veröffentlicht 16.09.2018 00:00
Aktualisiert 16.09.2018 17:25
AP

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat angesichts des Missbrauchskandals in der katholischen Kirche einen Neuaufbruch der Kirche gefordert. Er sei "tief bedrückt, erschüttert und beschämt" von der Realität sexuellen Missbrauchs Minderjähriger, sagte Marx am Sonntag bei einem Gottesdienst bei der Schönstatt-Bewegung in Vallendar bei Koblenz. Die klerikale Struktur der Kirche ist nach der von den Bischöfen selbst in Auftrag gegebenen Studie eine wichtige Ursache für den Missbrauch.

Wie aus einem Bericht der Onlineausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" hervor geht, nennen die Mannheimer Studienmacher den Klerikalismus "eine wichtige Ursache und ein spezifisches Strukturmerkmal" für sexuelle Gewalt in der Kirche. Die Priester nutzten demnach die Autorität ihres Amts für ihre Taten aus. Vorgesetzte der des Missbrauchs schuldigen Priester wiederum könnten durch Vertuschung versuchen, das klerikale System zu schonen.

Nach dem 2010 bekannt gewordenen Missbrauchskanal auch der deutschen Kirche hatte die Bischofskonferenz die 2013 begonnene Studie genau zu der Fragestellung in Auftrag gegeben, ob Strukturen in der Kirche den Missbrauch begünstigen.

Marx sagte laut Bischofskonferenz in dem Gottesdienst vor der Schönstatt-Bewegung, die Kirche spüre, dass die "tiefe Wunde des Missbrauchs" nicht verheile. Der Kardinal sagte, an der Seite der Betroffenen zu stehen sei "bleibende Verpflichtung" der Kirche. "In den Betroffenen schaut Gott uns an, er leidet wie die Opfer unter dem, was Priester - Männer, die Gott folgen wollten - Minderjährigen angetan haben", sagte der Münchner Kardinal. "Deshalb braucht es einen neuen Aufbruch in dieser Kirche, gegenüber den Betroffenen und Gott."

Die Studie trage dazu bei, den Blick zu schärfen, so Marx. Ob der von ihm geforderte Neuaufbruch auch mit Konsequenzen für die kirchliche Struktur in Deutschland verbunden werden soll, blieb aber zunächst offen. Die Bischofskonferenz will die Studie im Zuge ihrer Herbstvollversammlung in Fulda am 25. September beraten. Nach der Studie machten sich mindestens 1670 Priester nach Ende des Zweiten Weltkriegs des sexuellen Missbrauchs schuldig. Außerdem ergab sie, dass Bistümer zur Vertuschung von Vorwürfen Akten vernichteten.

Dem "Zeit"-Bericht zufolge standen drei Viertel der Missbrauchsopfer "in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung" zu den Tätern. Der Missbrauch sei in Ministrantendienst, Religionsunterricht, Erstkommunions- oder Firmungsvorbereitung, Katechese oder allgemeiner Seelsorge angebahnt worden. Bei der Tatanbahnung hätten die Priester psychologische Machtmittel eingesetzt.

Die Autoren der Studie warnen demnach vor den negativen Folgen kirchlicher Macht, nicht nur bei Tätern, sondern auch bei Vorgesetzten. "Bei Kirchenverantwortlichen kann ein autoritär-klerikales Amtsverständnis dazu führen, dass ein Priester, der sexualisierte Gewalt ausgeübt hat, eher als Bedrohung des eigenen klerikalen Systems angesehen wird und nicht als Gefahr für weitere Kinder oder Jugendliche oder andere potentielle Betroffene."

Der Erfurter Bischof Ulrich Neumeyer forderte nach einem MDR-Bericht am Sonntag in einer Predigt, die "Strukturen und Mentalitäten" der Kirche nun kritisch zu hinterfragen. Wichtig sei jetzt, "den Sauerteig der Sünde wegzuschaffen" - dazu seien effizientere Maßnahmen zur Prävention nötig.

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