Antisemitismusbeauftragter: Kippa nicht überall tragen

MIT AGENTUREN
BERLIN
Veröffentlicht 26.05.2019 14:16
Aktualisiert 27.05.2019 09:29
Reuters

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung rät Juden davon ab, sich überall in Deutschland mit der Kippa zu zeigen.

«Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen», sagte Felix Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Publizist Michel Friedman kritisierte die Äußerung am Samstag scharf, auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) widersprach.

Die Kippa, eine kleine kreisförmige Mütze, wird von jüdischen Männern als sichtbares Zeichen ihres Glaubens traditionell den ganzen Tag lang getragen. Das Tragen einer Kopfbedeckung ist nach Angaben des Zentralrats der Juden verpflichtender religiöser Brauch, Basecap oder Hut gehen auch.

Bundesinnenminister Horst Seehofer mahnte zu hoher Wachsamkeit und einem entschlossenen Handeln der Sicherheitsbehörden. «Es wäre nicht hinnehmbar, wenn Juden ihren Glauben in Deutschland verstecken müssten. Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich ist», erklärte der CSU-Politiker. «Angesichts der Entwicklung antisemitischer Straftaten müssen wir besorgt und wachsam sein.»

2018 war die Zahl antisemitischer Straftaten bundesweit stark angestiegen. Der jüngste Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität wies 1799 Fälle aus, 19,6 Prozent mehr als 2017.

Der Zentralrat der Juden warnt immer wieder vor wachsendem Antisemitismus und hat auch vom Tragen der Kippa in Teilen von Großstädten abgeraten. So sagte Zentralratspräsident Josef Schuster im Juli 2017 der «Bild am Sonntag: «In einigen Bezirken der Großstädte würde ich empfehlen, sich nicht als Jude zu erkennen zu geben.» Die Erfahrung habe gezeigt, dass das offene Tragen einer Kippa oder einer Halskette mit Davidstern verbale oder körperliche Bedrohungen zur Folge haben könne.

Der Publizist Michel Friedman bezeichnete die Äußerungen Kleins als «Offenbarungseid des Staates». Friedman verwies auf Artikel 4 des Grundgesetzes, der unter anderem die Religionsfreiheit garantiert. «Anscheinend versagt der Staat, dies allen jüdischen Bürgern im Alltag zu ermöglichen», sagte der 63-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

Friedman kritisierte: «Wenn ein Beauftragter der Bundesregierung offiziell der jüdischen Gemeinschaft mitteilt, «ihr seid nicht überall in Deutschland vor Judenhass und Gewalt sicher», dann ist das ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat und die politische Realität in Deutschland.» Der Staat müsse gewährleisten, dass Juden sich überall angstfrei zu erkennen geben können, sagte der frühere Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

«Ich empfehle allen, diese Aussagen sehr ernst zu nehmen», sagte Friedman zu dem Interview von Klein. «Dort, wo Juden nicht sicher und frei leben können, werden es bald auch andere nicht mehr können.» Er forderte Herrn Klein und die Bundesregierung konkret auf, der Öffentlichkeit mitzuteilen, an welchen Orten Juden nicht sorgenfrei leben könnten.

Bayerns Innenminister Herrmann ermutigte dazu, eine Kippa zu tragen. «Jeder kann und soll seine Kippa tragen, egal wo und egal wann er möchte», erklärte Herrmann am Samstag. Die Kippa zu tragen sei Teil der Religionsfreiheit. «Wenn wir vor dem Judenhass einknicken, überlassen wir rechtem Gedankengut das Feld», sagte der CSU-Politiker.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) zeigte sich besorgt: «Die immer häufigeren Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden sind beschämend für unser Land», sagte sie dem «Handelsblatt». «Rechte Bewegungen greifen unsere Demokratie an und zielen auf unser friedliches Zusammenleben.» Polizei und Justiz seien jedoch wachsam. Wachsam müsse aber auch die gesamte Gesellschaft sein. «Jüdisches Leben müssen wir mit allen Mitteln unseres Rechtsstaats schützen und Täter unmittelbar zur Verantwortung ziehen.»

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin reagierte bestürzt auf die Empfehlung des Antisemitismusbeauftragen. Rivlin teilte am Sonntag mit, dieser Rat von Klein habe ihn «zutiefst schockiert». «Die Verantwortung für das Wohl, die Freiheit und das Recht auf Religionsausübung jedes Mitglieds der deutschen jüdischen Gemeinde liegt in den Händen der deutschen Regierung und ihrer Strafverfolgungsbehörden.»

Die deutsche Regierung sei zwar der jüdischen Gemeinde verpflichtet, «aber Ängste über die Sicherheit deutscher Juden sind eine Kapitulation vor dem Antisemitismus und ein Eingeständnis, dass Juden auf deutschem Boden wieder nicht sicher sind», sagte Rivlin. Man werde im Angesicht des Antisemitismus nie kapitulieren, «und wir erwarten und fordern von unseren Bündnispartnern, ebenso zu handeln».

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