Frankreich und Belgien im WM-Viertelfinale

DPA
ISTANBUL
Veröffentlicht 07.07.2018 00:00
Aktualisiert 07.07.2018 11:01
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Belgiens Goldene Generation hat mit einer über weite Strecken titelreifen Vorstellung und etwas Glück Rekordweltmeister Brasilien entzaubert und ist nur noch zwei Siege vom ersten WM-Titel entfernt.

Angetrieben von den überragenden Eden Hazard und Kevin De Bruyne warfen die Roten Teufel am Freitag vor 42.873 Zuschauern in Kasan Brasilien mit einem 2:1 (2:0) aus dem Turnier. In der Schlussphase musste das Team allerdings zittern. Belgien steht damit zum zweiten Mal nach 1986 in einem WM-Halbfinale und kann am Dienstag gegen Nachbar Frankreich erstmals den Sprung ins Endspiel schaffen.

Die Titelträume der Seleção um Superstar Neymar, der erneut durch Schauspielerei auffiel, endeten dagegen 1459 Tage nach der 1:7-Demütigung gegen Deutschland erneut vorzeitig - auch wenn die Leistung deutlich besser war als vor vier Jahren. Fernandinho mit einem Eigentor (13. Minute) und der Ex-Wolfsburger De Bruyne (31.) besiegelten den Viertelfinal-K.o. für die letzte nicht-europäische Mannschaft im Turnier. Der eingewechselte Ex-Leverkusener Renato Augusto konnte nur verkürzen (76.). Für Brasilien war es die erste Niederlage nach 15 Spielen. Belgien ist nun schon seit 24 Partien ungeschlagen und gewann erstmals überhaupt fünf WM-Spiele in Serie.

Im Duell der besten Offensive gegen die stärkste Defensive der WM übersprangen beide Teams die Abtastphase und suchten den schnellen Weg nach vorne. Für die Belgier, die mit zwölf Toren in der Vorrunde und im Achtelfinale schon vor der Partie den stärksten Angriff der Weltmeisterschaft gestellt hatten, probierte es De Bruyne bereits in der zweiten Minute mit einem Distanzschuss, der jedoch knapp am Tor vorbeiflog.

Trainer Roberto Martínez ließ sein Team erstmals im Turnier mit einer Viererabwehrkette antreten. Die Defensive der Roten Teufel wirkte jedoch in der Anfangsphase alles andere als sicher. Nach einer Neymar-Ecke hatten die Westeuropäer Glück, dass Thiago Silva nur den Pfosten traf.

Vorne kamen sie immer besser ins Spiel. Ein Schuss von Hazard wurde von Brasiliens Abwehr noch geblockt (9.), dann leisteten die Südamerikaner Schützenhilfe: Fernandinho bugsierte den Ball bei seinem ersten Russland-Einsatz von Beginn an nach einer Ecke von Nacer Chadli mit dem Oberarm ins eigene Tor.

Mit der Führung wurden die Belgier sicherer und zeigten bei schnellen Angriffen immer wieder tolle Kombinationen. In der 31. Minute demonstrierte Martínez' Mannschaft eindrucksvoll ihre Konterstärke: Nach einem Eckball der Brasilianer startete Romelu Lukaku ein Solo über den halben Platz, bediente De Bruyne, und dieser traf mit einem satten Rechtsschuss zum 2:0.

Brasilien wirkte geschockt, kam offensiv nur selten gefährlich zum Abschluss. Und wenn, dann war Belgiens Keeper Thibaut Courtois zur Stelle. Einen Distanzschuss von Philippe Coutinho parierte er exzellent (37.). Auf der Gegenseite lenkte Alisson einen Freistoß von De Bruyne über die Latte (41.). Belgien führte den Rekordweltmeister phasenweise vor, hatte zwischendurch sogar Zeit für Kabinettstückchen. Der Vorsprung hätte zur Pause auch größer sein können.

Nach dem Seitenwechsel änderte sich das Bild. Brasilien drängte auf den Anschluss. Der eingewechselte Roberto Firmino verpasste eine Hereingabe von Marcelo am Fünfmeterraum nur ganz knapp (51.), dann scheiterte Neymar mit seinem Versuch, einen Elfmeter zu schinden (53.). Drei Minuten später hätte der slowakische Schiedsrichter Milorad Mazic auf den Punkt zeigen können: Vincent Kompany hatte Gabriel Jesus im Strafraum getroffen, doch nachdem die Szene vom Videoassistenten überprüft worden war, entschied sich der Unparteiische gegen einen Elfmeter.

Belgien sorgte nur noch ganz selten für Entlastung. Hazard verzog nach einem Konter knapp (62.), dann gelang dem kurz zuvor eingewechselten Renato Augusto der Anschluss. Eine schöne Lupf-Flanke von Coutinho verwertete er per Kopf (76.). Brasilien drückte aufs Tempo, hatte weitere Gelegenheiten, doch die Belgier brachten den Vorsprung über die Zeit und dürfen sich auf das Halbfinale freuen. Dabei wird ihnen Thomas Meunier fehlen, der für ein taktisches Foul seine zweite Gelbe Karte sah. In der Nachspielzeit lenkte Courtois einen letzten Neymar-Schuss klasse über die Latte.

Urugay gegen Frankreich

Erst weit nach dem Abpfiff fiel die ganze Last von Antoine Griezmann ab. Ausgerechnet gegen seine zweite Liebe Uruguay wurde der wendige Stürmer von Atlético Madrid mit einem Tor und einem Assist zum Matchwinner.

«Ich habe deshalb nicht gejubelt, weil ich früher von einem Trainer in Uruguay unterstützt wurde. Ich habe großen Respekt vor Uruguay. Für mich war es normal, nicht zu jubeln», sagte Griezmann unmittelbar nach dem 2:0, das die souveränen Franzosen einen weiteren Schritt näher an den möglichen zweiten WM-Titel nach 1998 brachte.

So ballte der 27-Jährige erst nach Schlusspfiff beide Fäuste in die Kameras und bejubelte den ersten WM-Halbfinaleinzug Frankreichs seit 2006. «Wir haben ein Team, das jedem Gegner weh tun kann. Wenn wir uns auf unser Spiel konzentrieren, haben wir großartige Chancen auf den Sieg», sagte Griezmann. Nach der Partie in Nischni Nowgorod umarmte er seine Kumpels und Freunde aus Uruguay fast schon entschuldigend, zuvor hatte er auch dank eines schweren Fehlgriffs von Uruguays Torwart-Routinier Fernando Muslera (61.) die Vorentscheidung mit einem Distanzschuss herbeigeführt. Das Führungstor von Raphaël Varane bereitete er am Freitag mustergültig vor.

«Es ist wunderbar. Wir haben eine weitere Etappe genommen, die wir vor vier Jahren nicht geschafft haben. Jetzt wollen wir bis zum Ende dabei sein. Wir müssen weitermachen, nicht aufhören. Unser Ziel ist nicht das Halbfinale», sagte Frankreichs Mittelfeld-Motor Paul Pogba, der für sein außerordentlich großes Selbstbewusstsein bekannt ist. Ohne den verletzten Edinson Cavani lieferte Uruguay zwar einen großen Defensivkampf, kam aber zu keinerlei Entlastung und kaum Chancen in der Offensive.

«Mir fehlen fast die Worte», sagte Frankreichs Trainer Didier Deschamps. «Ich bin sehr, sehr stolz auf meine 23 Spieler. Ich bin froh, Franzose zu sein.» Vier Jahre nach dem Viertelfinal-Aus gegen die DFB-Elf in Brasilien erreichte Frankreich zum sechsten Mal ein WM-Semifinale, Gegner am Dienstag ist entweder Rekordweltmeister Brasilien oder Belgien. Einen Wunschgegner habe er nicht, sagte Deschamps.

Das Rätsel um Cavani wurde erst eine Stunde vor dem Anpfiff gelöst. Die elf Spieler, die Trainer-Maestro Óscar Tabárez auf den Platz schickte, wollten es ohne ihren Achtelfinal-Doppeltorschützen erst recht wissen. Doch es fehlten Inspiration, Spielfreude und die Mittel, um Frankreich zu schlagen.

Griezmann unterhielt sich nach der Partie länger mit dem an der Wade verletzten Cavani, drückte auch seine Atlético-Kumpels Diego Godin und José María Giménez. «Ich liebe Uruguays Kultur und Uruguay als Land», verdeutlichte der Man of the Match noch einmal ausdrücklich.

Die Franzosen hatten eine Viertelstunde gebraucht, um sich auf die harte Gangart einzustellen. Dann legte Mittelstürmer Olivier Giroud Teenager Kylian Mbappé den Ball mit dem Kopf vor, doch der völlig freistehende 19-Jährige köpfte das Spielgerät überhastet über das Tor.

Besser als Mbappé machte es Varane. Griezmann flankte aus dem rechten Halbfeld ins Zentrum, wo der 25-Jährige unhaltbar einköpfte - ausgerechnet Varane, der beim Viertelfinal-K.o. seines Teams gegen Deutschland 2014 beim Gegentreffer von Mats Hummels noch schlecht ausgesehen hatte.

Das 0:1 gegen den späteren Weltmeister Deutschland ist nach dem Einzug ins Halbfinale endgültig vergessen. «Es ist eine große Erleichterung. Uns hat ein Berg gegenübergestanden, eine sehr starke und athletische Mannschaft. Das zweite Tor hat uns ein bisschen befreit», sagte Kapitän und Keeper Hugo Lloris, der beim Stand von 1:0 mit einer großartigen Parade Frankreichs Führung rettete.

Uruguays Trainer-Routinier Tabárez, mit 71 Jahren der älteste Coach bei dieser WM, ließ seine Zukunft unmittelbar nach dem Aus offen. «Ich kenne nicht ein Beispiel, in dem der Trainer über seine Zukunft entscheidet. Ich habe einen Vertrag, es ist nicht an mir zu entscheiden, wie es weitergeht. Ich möchte so etwas nicht kommentieren, auch heute nicht», sagte der Coach. Sowohl der geschlagene Tabárez als auch Sieger Griezmann wurden mit Applaus von der Pressekonferenz verabschiedet.

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