EM 2024: Baustellen im deutschen Fußball – Führungs- und Rassismusprobleme

DAILY SABAH MIT AGENTUREN
ISTANBUL
Veröffentlicht 17.09.2018 00:00
Aktualisiert 19.09.2018 09:44
DPA

In turbulenten Zeiten geht es für Deutschland um die so wichtige EM-Bewerbung. Aber auch ansonsten gibt es viele Brennpunkte für die beiden Fußball-Dachorganisationen (DFB und DFL) im Land des Ex-Weltmeisters. Hinzu kommt der Rassismus-Eklat um den Ex-Nationalspieler Mesut Özil und den unter Kritik stehenden DFB-Chef Reinhard Grindel. Angesichts der Probleme mit denen Deutschland konfrontiert ist, hat die Türkei gute Chancen den Vorzug zur Austragung der Fußball-EM 2024 zu bekommen.

EM-BEWERBUNG

Das politisch überaus brisante Duell mit der Türkei um die Ausrichtung des Turniers 2024 steht derzeit im Vordergrund. Von der Entscheidung des UEFA-Exekutivkomitees am 27. September in Nyon/Schweiz hängt möglicherweise auch die Zukunft von Reinhard Grindel als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes ab. Der wirbt mit der „politischen und finanziellen Stabilität" und der vorhandenen Infrastruktur in Deutschland, weiß aber um die Unberechenbarkeit und Wichtigkeit der Wahl. Die Türkei ist ein starker Kontrahent und kann wohl auf eine starke Unterstützung der Wahlmänner aus Osteuropa rechnen. Für die Türkei wäre die Ausrichtung des Turniers ein Meilenstein. Bisher hatte sie sich vergebens für die Austragung von EM und WM beworben – den Vorzug als Gastgeber manchmal nur knapp verpasst.

RASSISMUS-PROBLEM

Der Rassismus-Eklat um Özil hat dem deutschen Fußball einen schweren Schaden zugefügt. Vier lange Tage nach Mesut Özils Aussagen gegen Grindel und den DFB, drei Tage nach einer Erwiderung des Verbandes, in der der Präsident nicht vorkam, hatte sich der erste Mann des deutschen Fußballs geäußert. Der Druck war groß geworden. Der DFB hatte Anfragen von Journalisten nach Gesprächspartnern abgeblockt. Das ZDF musste gar auf eine vorgesehene Sondersendung verzichten, weil sich kein Funktionär stellen wollte. Eine reflektierte Selbstkritik folgte erst sehr spät. Der Rassismus-Vorwurf von Özil beschränkte sich jedoch nicht nur auf Grindel, er beschwerte sich über einen vielschichtigen Rassismus, der die Gesellschaft und die Institutionen durchdrungen habe. Dies steht im großen Widerspruch mit den universellen Werten des Fußballs und könnte ausschlaggebend für ein Scheitern bei der EM-Bewerbung sein.

Aktuell kommen da noch die rechtsextremistischen Ausschreitungen im Osten Deutschlands hinzu – die größtenteils eine islamophobe Färbung haben. Chemnitz hat sich hier mittlerweile zum Zentrum der rassistischen Proteste hochgeschaukelt. Der Hass entlädt sich bei Asylanten, aber auch bei Menschen, die hier geboren sind, aber fremd wirken, weil sie eine andere ethnische Abstammung besitzen als die deutsche Mehrheitsgesellschaft. In der Politik gewinnt die rechtspopulistische AfD zudem immer mehr Unterstützung – trotz starkem Gegenwind der etablierten Parteien. Muslime beklagen schon seit Jahren über Fälle von Diskriminierung im Alltag und institutionellem Rassismus. Diese Stimmung wird auch im Ausland wahrgenommen.

DFL-FÜHRUNG

Vor dem Abgang von Präsident Reinhard Rauball zum August nächsten Jahres will sich die ehrenamtliche Führungsriege der Deutschen Fußball Liga neu sortieren. Der Spitzenfunktionär aus Dortmund fordert eine Strukturreform, damit die Dachorganisation des Profifußballs fit ist für die Herausforderungen der Zukunft. Das Präsidium soll abgeschafft werden, die Vereine sollen mehr Macht bekommen. Die DFL drückt aufs Tempo, schon im Dezember könnte es nach Informationen von «Sport Bild» und „Kicker" eine Satzungsänderung geben. Die Hauptamtlichen um Christian Seifert, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, gelten als gut aufgestellt. Aber international muss sich die DFL wesentlich besser positionieren. Die Ligen aus England und Spanien sind wirtschaftlich enteilt.

DFB-FÜHRUNG

2019 stehen schon wieder Präsidiums-Wahlen an. Grindels Reputation hat vor allem im Fall Mesut Özil deutlich gelitten. Zudem wurde ihm nach dem WM-Debakel die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw angekreidet. Zuletzt sah der 56-Jährige bei der Debatte um das Länderspiel gegen Peru schlecht aus, als er in einer öffentlich gewordenen E-Mail vor einer Austragung in Frankfurt/Main warnte - damit Eintracht-Ultras nicht mit möglichen Aktionen gegen den DFB der EM-Bewerbung schaden könnten. Längst gibt es auch Forderungen nach einer Umstrukturierung beim DFB - was Grindels Chancen auf eine Wiederwahl nicht erhöhen würde.

NATIONALMANNSCHAFT

Die Aufarbeitung des blamablen Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft ist noch lange nicht ausgestanden. Löw wagt bisher allenfalls ein „Umbrüchle", Oliver Bierhoff als der mächtige Manager steht noch mehr in der Kritik. Das 0:0 gegen Frankreich war ein Fortschritt, der mühsame 2:1-Sieg gegen Peru nicht. In der Nations League ist Löw im Oktober richtig gefordert. Der Nachwuchsbereich steht ebenfalls auf dem Prüfstand, nachdem deutsche U-Mannschaften international oft hinterherlaufen.

WM-AFFÄRE

Die Aufarbeitung des Sommermärchens von 2006 belastet den DFB noch immer. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat Anklage erhoben gegen die früheren DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt. Alle drei werfen den Vorwurf zurück. Dem Verband droht eine Geldbuße in Millionenhöhe, falls das Trio wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall verurteilt werde. Im Zentrum des Skandals, in den auch der damalige OK-Chef Franz Beckenbauer verwickelt ist, stehen zwei ominöse und bis heute ungeklärte Zahlungen über 6,7 Millionen Euro.

DFB-AKADEMIE

Eine echte Baustelle des Verbandes. Das 150 Millionen Euro teure Vorzeigeprojekt in Frankfurt/Main soll nach jahrelangem Rechtsstreit um das Gelände der Pferderennbahn 2021 fertig sein. Tobias Haupt, der jüngste Sportmanagement-Professor Deutschlands, wird der Leiter. Das Bauwerk soll auch für den „neuen DFB" stehen, die gesamte Fußball-Kompetenz in einem Haus gebündelt werden. Dort wird auch die DFB-Administration untergebracht und die Trainer- und Jugendausbildung zentralisiert. Der Verband spricht von einem „Jahrhundertprojekt".

FAN-PROBLEMATIK

Die Entfremdung der Nationalmannschaft von den Fans war beim Neustart wieder Thema. Löw verspricht in der Debatte um hohe Eintrittspreise, zu späte Anstoßzeiten und öffentliche Trainingseinheiten mehr Nähe. Zudem droht in der Bundesliga nach dem Ende des Burgfriedens zwischen den Fans und den Dachorganisationen eine neue Eskalation in den Stadien. Mit der einseitigen Aufkündigung des Dialogs mit dem DFB und der DFL sind die Anhänger im Kampf um die Werte des Fußballs erneut auf Konfrontationskurs gegangen.

VIDEO-ASSISTENTEN

Ein Dauerthema in der Bundesliga, dabei wollte der DFB bei der technischen Neuerung ursprünglich eine Vorreiterrolle einnehmen. Bereits am ersten Spieltag gab es hitzige Debatten um das Eingreifen des Video Assistant Referee (VAR), was bei der WM in Russland gut funktioniert hat. Als eine Konsequenz wird der frühere WM-Schiedsrichter Wolfgang Stark „bis auf weiteres" nicht mehr als Video-Assistent eingesetzt.

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