Sabbatianismus und „Dönme“ in der osmanischen Gesellschaft

Veröffentlicht 28.04.2017 00:00
Aktualisiert 28.04.2017 17:06
Schabbtai Zvi

Das jüdische Volk glaubt, dass ein Messias die Menschheit, in zeitlicher Nähe zum Jüngsten Tag, retten wird, indem er das „Reich Gottes" durch den Ausbau seiner Herrschaft und die Versammlung aller Juden in Jerusalem manifestiert. Ähnliche Überzeugungen von einem Messias sind auch im Christentum und Islam präsent, aber in unterschiedlicher Form. Schabbtai Zvi war ein Rabbiner, der 1626 in Izmir geboren wurde. 1648 erklärte er sich als der lang erwartete jüdische Messias. Obwohl er nur eine Folgeschaft von einer Handvoll Leute hatte, machte Zvi zahlreiche Ausflüge im Osmanischen Reich.

Sein Ruf erreichte den Höhepunkt im Jahre 1666, jenes Datum, den er für den Beginn des Jüngsten Gerichts hielt. Er machte Veränderungen in den jüdischen Gebetsritualen und ersetzte den Namen des osmanischen Sultans mit seinem eigenen. Einige begannen zu glauben, dass er „der Retter und König" der Juden war. Zvi teilte die Welt in 38 Königreiche und ernannte Männer für seine Dienste, die ihm treu und loyal ergeben waren.

Irgendwann meldete ihn der Oberrabbiner der Regierung und Zvi musste dann vor dem Sultan Mehmed IV. erscheinen. Seine Angst vor Verfolgung und Tod, hat ihm scheinbar dazu bewegt zum Islam überzutreten und den Namen Mehmed anzunehmen.

In Bezug auf Zvis Konvertierung, sagte Shaykh al-Islam Vânî Mehmed Efendi: „Ich erkenne es so gut, wie ich die Rückseite meiner Hand kenne, dass es dieser Mann kein Muslim wurde, aber unsere Religion ehrt es dennoch."

Alle seine Anhänger erklärten sich auch zu Muslimen und Zvi, der in Gallipoli wohnte, blieb nicht lange antriebslos. Er verkündete 18 Prinzipien seiner Sekte Namens „Sabbatianismus". Unter ihnen waren Aspekte, wie die Teilnahme an muslimischen Bräuchen, Verehrungen und Feiertagen in der Öffentlichkeit sowie das Verbot der Heirat von Ausländern.

Zvi, der später während einer heimlichen Durchführung von Ritualen zusammen mit seinen Unterstützern gefangen wurde, musste danach das Land verlassen. Vorher wurde er von Großwesir Fazıl Ahmed Pascha befragt, bevor man ihn und seine Anhänger nach Albanien verbannte. Er starb dort 1676 im Exil und wurde in Ulcinj begraben. Da die Angelegenheit durch die Verbannung gelöst wurde, führte die Regierung Zvis Todesurteil nicht aus. Und noch wichtiger: Die Osmanen hätten keine Glaubensrichtung verboten, so lange diese nicht die Ordnung im Staat bedroht hätte.

Schlüsselpositionen

Sabbatianer nannten sich gewöhnlich „Ma'aminim" (Gläubige), „Haberim" (Associates) und „Ba'ale Milhamah" (Krieger). Sie griffen auf die esoterische Interpretation der Tora (Kabbala) zurück, interpretierten viele Normen und Gesetze im Judentum um und folgten einem ähnlichen Weg wie den der Batiniyya im Islam. Sie lasen Zvis Torah Interpretation namens Zohar (Licht).

Hundert Jahre nach seinem Tod wurden die Anhänger von Zvi in drei Sekten geteilt: Yakubi, der Yakub Qerido als den nächsten Messias betrachtete, Karakaş, der glaubte, dass Osman Baruya Ruso den Geist von Sabbatai Zvi trägt und Kapanci, die die Zvi-Tradition beibehalten haben. Sie hielten ihre Distanziertheit und erlaubten keine Ehen mit anderen Sektierern oder mit Ausländern. Sie hatten sogar getrennte Friedhöfe für Männer und Frauen.

Die Sabbatianer, die von den Juden als Ketzer angesehen und ausgeschlossen wurden, hielten viele Jahre lang ihr muslimisches Erscheinungsbild bei, folgten aber im Privaten ihrem eigenen Glauben und Ritualen. Sogar die Scheichs, darunter Scheich al-Islam (Hayatîzâde Emin Efendi-1748) kam aus dieser Gemeinde, die meistens in Thessaloniki, Izmir und Istanbul lebte.

Es war eine intellektuelle Gemeinde, die mit Europa verbunden war und einige Fremdsprachen beherrschte.

Sie spielten, mit ihren Fähigkeiten, eine wichtige Rolle bei der osmanischen Modernisierung und nahmen Schlüsselpositionen im Reich ein. Tatsächlich waren die meisten Mitglieder der Jungtürken, die 1908 die Herrschaft des Sultans Abdülhamid beendeten, Sabbatisten. So wurde Zvis Traum im frühen 20. Jahrhundert wahr, indem dort de facto ein Sabbatistisches Machtzentrum entstand.

Intellektuelle Gemeinschaft

Obwohl klein in der Anzahl, nahmen die Sabbatianer einen sehr wichtigen Platz im sozialen und politischen Leben im Osmanischen Reich ein, bis zum Zerfall des Reiches.

Bemerkenswerte Persönlichkeiten der Gemeinde waren die Journalisten Hüseyin Cahit Yalçın, Hasan Tahsin, Halide Edip Adıvar, Ahmed Emin Yalman, Namık Zeki Aral (Bülent Ecevits Schwiegervater), Halil Lütfi Dördüncü, Abdi İpekçi, Dinç Bilgin, Sabiha Sertel; Junge türkische Politiker Cavit Bey, Mithat Şükrü Bleda und Dr. Nazım; Außenministerin und Unterstaatssekretärin des Ministerpräsidenten Fatin Rüştü Zorlu, Ahmed Salih Korur, zwei der letzten Außenminister İsmail Cem und Emre Gönensay, Professor Sıddık Sami Onar, die zu denen gehörten, die die Verfassung von 1961 vorbereiteten sowie Geschäftsmann Halil Bezmen.

Während die osmanische Gesellschaft die konvertierten Muslime „muhtadi" im Sinne von „richtiger Weg" genannt wurden, wurden die Sabbatianer als „Dönme" (die Abgekehrten) oder Awdaty (religiöse Konvertiten) oder Selanikli (Person aus Thessaloniki) bezeichnet.

Jene, die Osman Kibar, den ehemaligen Bürgermeister von Izmir, gefragt hätten, ob er ein Dönme wäre, hätte Kibar geantwortet: „Ja, aber ich habe mich um 360 Grad gedreht."

Um ihre Kinder als Intellektuelle zu erziehen und sie an sich selbst zu erinnern, haben sie Institutionen wie die „Feyziyye" Schulen und die „Şişli Terakki High School" gegründet.

Dort wurden neben einer großen Anzahl von Sabbatianer auch muslimische Kinder gelehrt. Die „Selanik Feyzi Sibyan Schule", in der Mustafa Kemal Atatürk eingeschrieben wurde, war auch eine ihrer Institutionen. Es war Direktor Şemsi Efendi (Simon Zvi) selbst, der dort den Religionsunterricht gab.

Der Journalist Itamar Ben-Avi (1882-1943) hatte behauptet, er habe Atatürk im „Kamenitz" Hotel in Jerusalem im Jahre 1911 interviewt. Zu der Zeit war er ein junger Offizier. Atatürk, sagte ihm, dass er aus der Linie der Leute kam, die an Zvi glaubten, aber Er nahm sich als Türke an. Er sagte sogar, dass sein Vater einen karaitisch-jüdischen Lehrer angestellt habe, um eine in Venedig gedruckte Tora zu lehren.

Mustafa Kemal las ein Gebet, an das er sich erinnerte: „Sh'ma Yisrael Adonai Eloheinu Adonai (Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist Eins) Es soll sein geheimes Gebet gewesen sein.

Status Quo

Sabbatianer haben sich allmählich von den strengen Spaltungen untereinander gelöst. Sie bestanden danach aus aufrichtigen Muslimen oder aus jenen, die sich dem Atheismus zugewandt hatten. Es gab aber auch welche unter ihnen, die die klassische Sabbatianer-Tradition weiterlebten.

Ihr Lebensstil ist ein Beispiel für das Verständnis des Säkularismus in der Türkei. Sie dominierten die Welt des Kinos und der Medien. Einer der ersten Kinofilme der Türkei, „İpek" wurde von der Familie İpekçi in Auftrag gegeben.

Obwohl das Geheimnis der Sabbatianer mit den Offenbarungen eines „Dönme" namens Karakaş Rüştü enthüllt wurde, von dem angenommen wurde, dass er von den Juden in den 1920er Jahren benutzt wurde, verhinderte die Regierung die Verbreitung der Enthüllung.

Cavid Bey, der ehemalige Finanzminister der „Partei der Gemeinschaft und des Fortschritts", war damals in der Position des geistigen Führers der Sabbatianer, was auch einer der Gründe für seine Hinrichtung im Jahre 1926 war.

Die im Jahre 1942 erteilte Kapitalsteuer wurde den Sabbatianern doppelt so hoch angerechnet, wie den Muslimen. Von dieser Gruppe, die immer noch ein paar tausend Anhänger in der Türkei haben soll, wird angenommen, dass sie für geheime Aktivitäten, mithilfe von psychologischen Mitteln, verantwortlich ist. Sie würde sich dem liberalen Gedanken und der demokratischen Entwicklung, im Namen der Erhaltung des Status quo, widersetzen.

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