Handwerker im Osmanischen Reich – Kein leichter Job

Veröffentlicht 12.05.2017 00:00
Aktualisiert 12.05.2017 16:13
Osmanische Handwerker posieren für die Kamera vor einem Lebensmittelgeschäft.

Die Handwerker hatten eine wichtige Stellung in der osmanischen Gesellschaft. Gemeinsam mit Kaufleuten bildeten sie eine zentrale Gruppe, die Veränderungen im politischen und gesellschaftlichen Leben veranlasste, aber auch verhinderte

Im osmanischen Reich, wie auch im Römischen Reich, konnte ein Kaufmann oder Handwerker nicht einfach ein Geschäft eröffnen, wo und wann immer er wollte, weil im Staat ein System der kontrollierten Wirtschaft installiert war. Das heißt: Um die Arbeitslosigkeit, die Kosten und die Knappheit zu einzuschränken und damit das gesellschaftliche Gleichgewicht in der kontrollierten Wirtschaft zu gewährleisten, war die Produktion sowohl hinsichtlich der Sorte als auch der Menge der Waren begrenzt. Die Qualität der produzierten Waren sowie die Konkurrenzbeziehungen wurden streng kontrolliert.

Handwerker waren stramm organisiert, um diese Kontrollen zu gewährleisten. So leiteten sie ihre Geschäfte selbst, jedoch unter der Kontrolle des Staates, der die Anzahl der Geschäfte oder Werkstätte in den Städten festsetzte. Niemand konnte nach Belieben ein Geschäft eröffnen oder einer anderen Tätigkeit nachgehen als der eigenen.

In Istanbul beispielsweise, wo in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts 200 Schuhmacher arbeiteten, konnte weder ein neuer Laden eröffnet noch ein bestehendes Geschäft geschlossen werden, und alle vorhandenen Läden mussten so bleiben wie sie waren. Zum Beispiel konnte eine Schuhmacher-Laden im Bezirk Çemberlitaş nicht ohne Zustimmung des Staates in den Bezirk Çarşıkapı umziehen. Das Privileg zum Handel, erteilt durch den Staat, wurde als „Gedik" (die exklusive Lizenz und das Recht, einen Handel in einem bestimmten Gebiet auszuüben) bezeichnet. Dieses Recht konnte auch auf eine andere Person übertragen werden. In manchen Fällen sogar kostenlos, ohne Gebühren.

Eine Lizenz war erforderlich

Um ein Handwerker zu werden, musste man nach der Grundschule in die Lehre, wo man unter der Leitung eines Meisters das Handwerk erlernte. Der Meister lehrte seinem Schüler drei Jahre lang die Feinheiten seiner Kunst. Dann, wenn der Meister entschied, dass der Auszubildende den Beruf ausreichend erlernt hatte, musste er vor den Ältesten der Handwerkerschaft antreten. Er wurde in Fragen der religiösen und wirtschaftlichen Ethik geprüft und musste an einem Gegenstand seine Handwerkskunst präsentieren. Wenn er die Prüfung bestanden hatte, bekam er ein „Peshtemal" (ein Tuch, das um die Taille gebunden wurde). Das war Teil einer besonderen Zeremonie.

Der Lehrling, der den Test bestehen konnte, hat dann weiterhin als Assistent seines Meisters im selben Laden weitergearbeitet. Er hatte nun aber auch das Recht, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, musste aber warten bis die Räumlichkeiten frei wurden und zur Verfügung standen. Dann konnte er im neuen Laden selbst als Meister tätig werden.

Wenn einer der Handwerker beschloss, seinen Beruf zu verlassen, konnte er sein Geschäft einem Assistenten aus der gleichen Handwerkerschaft gegen eine Gebühr oder manchmal kostenlos übertragen. Als der Besitzer eines Geschäfts starb, übernahm zumeist sein Sohn den Laden und setzte den Beruf des Vaters fort. Wenn er kein Kind hatte oder wenn das Kind dem Beruf seines Vaters nicht nachgehen wollte, wurde das Recht auf einen Assistenten übertragen, der seinem Beruf würdig war. Diese Person war verpflichtet, dem Erben des verstorbenen Handwerkers eine Gebühr zu zahlen. Alle Transaktionen wurden im Handelsregister eingetragen.

Edebâli war ein Scheich der Handwerker

Jede Handelsgemeinschaft hatte eine Organisation, die von den Meistern dieses Berufes gegründet wurde. Diese Organisation, die den „Collegien" im alten Rom ähnelte, hieß Londja (Gilde) und war ein Erbe der Seldschuken. Die Gilde war zugleich eine Sufi-Institution. Die Handwerker versammelten sich in einer Tekke oder Moschee.

Zu dieser Zeit nannten sich die Handwerker „Akhi", was auf Arabisch „mein Bruder" bedeutet. Scheich Edebali, der Schwiegervater von Osman Ghazi, dem Gründer des osmanischen Reiches, war auch ein Akhi und Führer einer Gerberei-Gilde. Nach dem Zusammenbruch des Seldschuken-Staates hat er sogar eine Regierung in Ankara gegründet und eine wichtige Rolle bei der Auswahl der ersten osmanischen Sultane gespielt.

Etwa ab Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatten die Gilden ihre Sufi-Identitäten verloren, nachdem die Zahl der Nicht-Muslime unter den Handwerkern gestiegen war. Daher wollte man eine eigene Organisation gründen. Unter der Führung der gleichen Person wurde die Einrichtung in zwei unterschiedliche Zweige unterteilt, eine für Muslime und eine andere für Nicht-Muslime.

Handelsorganisation

Die Gilde wurde von einem Oberhaupt angeführt, der den Titel „Scheich" trug. Er wurde durch die Handwerker selbst bestimmt. Für die Wahl kamen nur die älteren Meister infrage. Nach Evliya Çelebi gab es in Istanbul 105 Kaufleute, die den Titel tragen konnten.

Ein „Katkhuda" (Wächter einer Handelsgilde) fungierte als die Verbindung zwischen der Gilde und der Regierung. Die Handwerker wählten den Wärter unter sich aus und ernannten ihn zu einem Qadi (Richter). Die offizielle Ernennung wurde dann von der Regierung durchgeführt.

Warnungen, Zuschüsse und die von der Regierung erteilte Profitrate wurden den Handwerkern durch die Wärter gemeldet, die auch für die Beurteilung, ob die Handwerker die Gesetze und die Profitrate einhielten, verantwortlich waren. Außerdem legte er die Anträge und Beschwerden den Handwerker der Regierung vor. Aus diesem Grund musste der Wärter in den Augen der Handwerker und der Regierung eine seriöse Person sein. Andernfalls hätte er zum Beispiel ein Risiko darstellen können, indem er beispielsweise die Korruption der Handwerker übersehen könnte. Handwerker konnten den Wärter auch an die Regierung melden, wenn sie ihn für korrupt hielten und um seine Absetzung bitten.

Vater eines jeden Berufes

Die religiösen und moralischen Prinzipien, die alle Handwerker zu befolgen hatten, wurden in Büchern mit dem Titel „Futuwwatnameh" notiert. Als ein Handwerker zum Meister wurde, musste er nach diesen Grundsätzen geprüft werden, so auch die erste Person, die jenen Beruf das erste Mal überhaupt ausführte. Diese Person wurde als der Adelige (Schutzpatron) des Berufs angesehen. Zum Beispiel wurde der Prophet Idris als der Schutzpatron der Schneider angesehen, während Salman al-Farisi, ein Freund des Propheten Mohammed, als der Schutzpatron der Friseure angesehen wurde.

Handwerker, deren Arbeit nicht mit der Handelsethik übereinstimmte oder Jene, die nicht-standardisierte Waren produzierten, wurden verurteilt und bestraft, wenn nötig, vor einer Delegation, die sich aus den Ältesten der Gilde zusammensetzte. Wenn diese Frage vor Gericht gestellt werden musste, wurden die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Der Wärter konnte, wenn nötig, einen Handwerker aus seinem Beruf für einen bestimmten Zeitraum suspendieren.

Sozialversicherung

Die Handwerker hatten auch einen „Soforthilfefond" unter der Kontrolle des Wärters. Ein Handwerker, dessen Geschäft abbrannte, der krank wurde oder nicht mehr arbeiten konnte, wurde mit einem zinslosen Darlehen, einer Spende und einem Gehalt aus dem Fonds versorgt. Jeder Meister, jeder Gehilfe und alle Auszubildenden zahlten einen bestimmten Regelsatz, der sich nach den Einkommen richtete, einen Beitrag in diesen Fond. Die bei den Handwerkszeremonien gezahlten Gebühren wurden dort auch hinterlegt. Die Waren des Kaufmanns, die ohne Erben starben, wurden automatisch diesem Fonds überlassen. Hinzu kamen dann auch die Einnahmen aus der Pacht des Gilden-Inventars.

Gedacht wurde auch an die Erholung der Handwerker. Sie reisten an bestimmten Tagen des Jahres aufs Land, aßen Reis mit Fleisch, spielten Spiele und genossen ihre freie Zeit. Jene Festtage wurden auch von der Öffentlichkeit besucht.

In der liberalen Wirtschaft, die nach der „Tanzimat" Verordnung verabschiedet wurde, verloren die Gilden an Bedeutung. Im Jahre 1909 schafften die herrschenden Jungtürken die Gilden ab, um den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Handwerker zu brechen, da sie als Konservativ galten. Obwohl später in der Zeit der Türkischen Republik Gewerkschaften und Kammern gegründet wurden, erreichten sie nie die Macht und den Ruf der Gilden der Vergangenheit.

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