Ende der Globalisierung - oder Beginn von etwas Schlimmerem?

Veröffentlicht 02.10.2018 00:00
Aktualisiert 02.10.2018 12:29
Nach einem Luftangriff des Assad-Regimes auf das belagerte Ostghouta im Februar 2018 steigen Rauchschwaden auf. AFP Foto
Nach einem Luftangriff des Assad-Regimes auf das belagerte Ostghouta im Februar 2018 steigen Rauchschwaden auf. (AFP Foto)

Präsident Trumps Rede vor der UN war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Weltordnung der Nachkriegszeit im Umbruch befindet - und dass in der neuen Ära die Normen der Globalisierung nicht länger dominieren werden.

Bei der 73. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York in dieser Woche hat der UN-Generalsekretär Antonio Guterres beklagt, dass der Multilateralismus immer dann unter Beschuss steht, wenn die Welt am meisten darauf angewiesen ist. "Unsere Welt leidet unter einem schweren Fall einer `Vertrauensdefizitstörung´", sagte er und fügte hinzu: "Das Vertrauen ist an einem kritischen Punkt angelangt - das Vertrauen in nationale Institutionen, Vertrauen zwischen Staaten, Vertrauen in die auf Regeln basierende globale Ordnung." Und führte weiter aus: "Im Inland verlieren die Menschen das Vertrauen in politische Einrichtungen, die Polarisierung nimmt zu und der Populismus ist auf dem Vormarsch."

Unterdessen lobte US-Präsident Donald Trump, der zu spät zu seiner Rede im US-Hauptquartier in New York eingetroffen war, seine "America First"-Agenda, die Gelächter auf den Rängen der Weltführer in der Konferenzhalle auslöste. Er begann mit der Schilderung der Grenzmauer zu Mexiko, und sendete fast jedem Land - einschließlich den Verbündeten - harte politische Botschaften. Neben der Darstellung des Globalismus als Bedrohung der US-Souveränität lehnte er zugleich die Legitimität des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ab. In Bezug auf die USA habe jenes Gericht (welches Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt) "keine Legitimität und keine Autorität". Unter Hinweis darauf, dass sich die USA vom Menschenrechtsrat zurückgezogen hat, griff er fast alle globalen Institutionen an und sagte schließlich: "Wir lehnen die Ideologie des Globalismus ab und wir akzeptieren die Doktrin des Patriotismus."

Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der für seine Kritik an der gegenwärtigen Weltordnung bekannt ist, wiederholte seine Warnungen bei seiner Rede in der UN-Generalversammlung. Die UN riskiere, eine Organisation mit einem "Ruf des Scheiterns" zu werden. Er kritisierte die Regelung der fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat. Dieser bedürfe einer Umstrukturierung. Die UN habe sich von dem Vorhaben, die Erwartungen der Menschheit durch Frieden und Wohlfahrt zu erfüllen, weit entfernt. Mit Rückblick auf die Ereignisse in Bosnien, Ruanda und die aktuelle Notlage der Palästinenser sagte er, dass die UN komplett umstrukturiert werden müsse - nur so könne sie Erfolg erlangen. In Bezug auf die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sagte Erdoğan: "Wir glauben, dass wir, wenn wir sagen, dass die Welt größer als fünf ist, zur Stimme des allgemeinen Gewissens der Menschheit werden."

Während die Führer der Welt ihre Reden hielten, sich gegenseitig mit höflichen und diplomatischen Worten entgegneten, weckten drei der Reden mein besonderes Interesse. Während Guterres versuchte, die Weltführer vor der zunehmend chaotischen Weltordnung und den Konfrontationen und deren Risiken zu warnen, spiegelte er zugleich die Ineffektivität der Vereinten Nationen wider: ein Mann, der sich der gefährlichen Situation voll bewusst ist, aber nichts dagegen tun kann. Während Trumps Rede, in der er die Beziehungen der USA zu globalen Institutionen zu isolieren versuchte, stellte sich mir folgende Frage: Ist dies das Ende der Globalisierung - oder der Beginn von etwas Schlimmerem?" Präsident Erdoğan lieferte im Gegensatz dazu konkretere und substanziellere Vorschläge zur Wiederherstellung oder Neubildung der alarmierenden Struktur der Vereinten Nationen und der gegenwärtigen globalen Weltordnung.

Die 73. Tagung der Generalversammlung hat mich über die Ineffektivität des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg nachdenken lassen. Sie sollte ein Forum für die Beilegung internationaler Streitigkeiten bieten - konnte aber den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern. Als die Kwantung-Armee Japans 1931 in die Mandschurei einmarschierte und die chinesischen Truppen zerschlug, blieb die Welt tatenlos. Es war das erste Anzeichen der Unfähigkeit des Völkerbundes. Dann, 1937, begann Japan in China einzumarschieren. Als Nanking fiel, wurden Hunderttausende Menschen ermordet.

Als der italienische Faschistenführer Benito Mussolini 1935 in Äthiopien einmarschierte, tat die Welt wieder nichts, um die Invasion zu verhindern. Über 250.000 äthiopische Widerstandskämpfer wurden getötet. Dies war nur ein weiterer großer Rückschlag des Völkerbundes. Anstatt die Besetzung zu kritisieren, lobten viele Führer der Welt auch noch die Eroberung Äthiopiens durch Mussolini.

Adolf Hitler war noch waghalsiger. Als die deutschen Truppen im März 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzten, blieben konkrete Reaktionen aus. Da er wusste, dass der Völkerbund keine Initiative zeigen würde, um ihn aufzuhalten, annektierte Hitler zwei Jahre später das benachbarte Österreich. Dann wurden die Ansprüche auf das tschechische Sudetenland geltend gemacht.

Die Reaktion der Welt auf den Spanischen Bürgerkrieg war noch schlimmer. Nicht nur, dass Hitler und Mussolini den ideologisch verbündeten General Franco militärisch unterstützen – Beistand kam auch seitens US-Firmen wie Ford, GM und Texaco. Sie stellten trotz Embargos Werkzeugmaschinen, Lastwagen und Öl zur Verfügung. Auch viele Katholiken solidarisierten und organisierten sich, um Franco zu unterstützen. 1939 fiel die Republik und Franco trat als Sieger aus dem blutigen Bürgerkrieg hervor. Mindestens 500.000 Menschen wurden in dem Konflikt getötet.

Auch den Juden im Deutschen Reich wurde nicht geholfen. Die Reichskristallnacht 1938, die von SA-Schergen angestachelt worden war und woran sich auch Zivilisten beteiligten, wurde nicht verhindert. Davon ermutigt drang Hitler in den Rest der Tschechoslowakei ein und brach damit auch sein 1939 gegebenes Versprechen - während er auf der anderen Seite die Briten und Juden als Kriegstreiber bezeichnete. Sein nächstes Ziel sollte der Blitzkrieg in Polen sein.

Der Zweite Weltkrieg wird als Sieg gegen den deutschen Nationalsozialismus, den japanischen Militarismus und den italienischen Faschismus betrachtet. Jedoch wurde auch hier erst nach Jahren der Ignoranz, Selbstsucht und Torheit interveniert. Obwohl wir denken, dass wir heute in einer modernen und zivilisierten Welt leben, hat sich die Welt seitdem kaum verändert. Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag - und dennoch wird nichts getan.

Wenn wir die Alarmglocken nicht läuten hören und nichts tun, um die Struktur der UN wiederherzustellen, wird es bald keinen Platz mehr für Dialog und Diplomatie geben. Dann werden die USA das gleiche Schicksal haben wie der Völkerbund - sie werden ihre selbstauferlegte Aufgabe, den Weltfrieden zu bewahren, nicht erfüllen können.

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