Vor wem müssen wir das christliche Erbe in Jerusalem schützen?

ISTANBUL
Veröffentlicht 09.01.2018 00:00
Aktualisiert 09.01.2018 18:02

Araber, sowohl Muslime als auch Christen, verlieren das Recht, in ihren Heimatländern zu leben - sie werden aus dem Land ihrer Vorfahren vertrieben und ihre Gotteshäuser belagert

Der orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos III., schrieb vor kurzem über seine Befürchtung einer Vertreibung der Christen aus dem Heiligen Land. In einem Artikel der britischen Zeitung The Guardian sagte er, dass die Christen der Stadt, die dort auf eine mindestens zwei Jahrtausende alte Geschichte zurückblicken können, in Gefahr seien - genauso wie die Ländereien der Christen und Kirchen im Heiligen Land. Der Artikel bezieht sich auf „radikale Siedler", ohne Israels illegale Besetzung im Heiligen Land wenigstens einmal zu erwähnen.

Durch die Intensität der aktuellen Geschehnisse im Rahmen des Nahostkonfliktes zwischen Muslimen und Israelis wird die langjährige Geschichte der Christen in Palästina meist überschattet.

Die Christen dort sind Teil der multireligiösen Gesellschaft insbesondere in der heiligen Stadt Jerusalem, dort wo sie seit Jahrhunderten leben. Sie werden von keiner Autorität dort als direkte Bedrohung empfunden.

Die Jungfrau Maria lebte laut christlicher Überlieferung bis zu ihren 90ern in der Stadt und ist auch dort gestorben. Einige glauben, ihre Ruhestätte sei die Altstadt Jerusalems, in der Himmelfahrtskapelle, die man über eine 60-stufige Treppe erreicht.

Christliche Quellen besagen, dass Maria als Kind in den Tempel des Salomon gebracht worden ist, dorthin habe sie sich später auch zurückgezogen. Das Leben, das sie dort führte, inspirierte später auch die Gemeinschaft der Nonnen. Die Region zieht daher seit Jahrtausenden christliche Pilger an. Es gibt natürlich auch die Legende, dass sie den Rest ihrer Tage mit Johannes dem Apostel in Ephesus verbrachte oder dass sie niemals starb, sondern in den Himmel aufstieg. Im Allgemeinen wird jedoch angenommen, dass Jerusalem ihre letzte Lebensstätte war.

Auch die Orte an denen Jesus Christus gepredigt, gekreuzigt, gestorben und auferstanden sein soll, sind beliebte Orte für Christliche Pilger.

Es wird angenommen, dass Maria mit Jesus Christus (zu dem Zeitpunkt 12 Jahren alt) nach Jerusalem kam und Salomos Tempel besuchte. Dort habe Jesus eine Debatte mit jüdischen Religionsgelehrten begonnen, die von seiner Weisheit und seinen Bemerkungen überrascht gewesen sein sollen. Die Christen interpretieren diese Interaktion in Salomos Tempel als Triumph des Christentums gegenüber dem Judentum. Mit der Ankunft des lang ersehnten Messias hatte eine neue Ära begonnen.

Auch die Gräber vieler anderer wichtigster Heiliger und Apostel des Christentums liegen in Jerusalem. Die wichtigsten Rituale des Christentums wurden dort formuliert, einschließlich der Heiligen Kommunion. Gemäß der Bibel übergab Jesus Christus den Aposteln während des letzten Abendmahls Brot und Wein.

Der Weg, den die Pilger jedes Jahr beschreiten, um der Passion Christi zu gedenken, führt auch durch Jerusalem.

Berichte im 11. Jahrhundert darüber, dass christliche Gräber und Kirchen geplündert wurden, mobilisierten Millionen in ganz Europa für die Kreuzzüge, da diese Orte seit jeher als heilig betrachtet werden.

Das Schweigen der Christen und Europas allgemein für das, was in Jerusalem und in den besetzten Gebieten geschieht, ist verstörend.

Heute kann ein russischer oder ein amerikanischer Jude, der keinerlei familiäre Bindungen zu dieser Region hat, eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Christen oder Muslime haben jedoch kein solches Recht. Araber, sowohl Muslime als auch Christen, verlieren sogar das Recht, in ihren Heimatländern zu leben, wenn sie acht Jahre im Ausland verbracht haben. Sie werden aus dem Land ihrer Vorfahren vertrieben und ihre Gotteshäuser belagert. Israelische Soldaten, die vor den katholischen und armenischen Kirchen in Jerusalem stationiert sind, wollen den Eindruck vermitteln, dass sie diese Orte vor Gefahren von außen schützen, während sie in Wirklichkeit selber die Gefahr darstellen.

Das heutige Europa ist weit entfernt vom Zentrum der Christenheit, das es in der Vergangenheit mal war, aber das nachchristliche Europa sollte sich zumindest mobilisieren, um seine Kulturgeschichte und sein Kulturerbe zu schützen. Radikale Siedler zerstören die letzten Überreste anderer Religionen im Heiligen Land. Ist die Vernachlässigung des Erbes Jesu Christi, der Jungfrau Maria und der Aposteln sowie kulturhistorische Relikte nicht gleichbedeutend mit einer Abkehr von der eigenen Geschichte?

Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen
Rechtlicher Hinweis: Alle veröffentlichten Beiträge sind Eigentum der Turkuvaz Medya Gruppe. Auch mit Angabe der Quelle ist es ohne Erlaubnis nicht gestattet, die kompletten Beiträge zu nutzen.
Lediglich das Zitieren einzelner Stellen ist unter Verwendung eines Hyperlinks gestattet. Für weitere Details bitte hier klicken.