Wieso ausgerechnet in Neuseeland?

BURAK ALTUN @burakaltun_DS
ISTANBUL
Veröffentlicht 18.03.2019 11:43
Aktualisiert 11.09.2019 18:24
DPA

Niemand hatte damit gerechnet, dass sich eine derart brutale Tat in Neuseeland ereignet. Das Land gilt als Musterbeispiel für gelungene Integration von Muslimen. Sie leben dort in Frieden, werden nicht angefeindet und fühlen sich willkommen. Rassismus ist dort, anders als in Australien, kein wirkliches Problem. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der islamfeindliche Terrorist aus dem Nachbarland kommt. Ungeklärt ist aber die Frage, wieso er die Tat in Neuseeland durchführte. Lag es am laschen Waffengesetz – oder gibt es möglicherweise tiefer gehende Ursachen und Zusammenhänge, die noch nicht ans Tageslicht gekommen sind? Handelt es sich bei dem Täter um einen Einzelgänger oder ist er Teil einer größeren Terrorzelle? Viele Fragen stehen noch ungeklärt im Raum, wovon einige sicher noch beantworten werden - aber wird das ausreichen?

Islamophobie in Europa – ein Kontrast zu Neuseeland

Jedenfalls sollten sich die Politiker in Europa, allen voran in Deutschland, selbstkritisch die Frage stellen, wie viel Mitschuld sie mit ihrer teilweise aggressiven und oft populistischen Rhetorik an der wachsenden Islamophobie in Europa tragen. Unvergessen sind die Vorstöße aus der bayrischen CSU mit ihrer klaren Botschaft: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland".

Leider sind es nicht nur die rechtspopulistische AfD oder die christliche Union, die den Muslimen das Gefühl geben, nicht auf Augenhöhe mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu stehen. Dies geschieht auch oft indirekt, wenn sich beispielsweise Grünen-Politiker Cem Özdemir mit Islamkritikern solidarisiert und die Bewegung „säkularer Islam" gründet - womit er dann aus dem Deckmantel eines angeblich aufgeklärten Islams heraus alle Muslime zum Feindbild erklärt, die nicht ins eigene Raster passen. Dabei bedienen sich die Mitspieler wie Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad oder Ahmad Mansour oft der gleichen Sprache und Themen. Sie werden von den deutschen Medien regelrecht hofiert, anders als bei den Muslimen, wo sie kaum auf Sympathien zählen können. Sie maßen sich dennoch an, entscheiden zu können, was einen „guten" Moslem ausmacht. Es geht dabei um Kopftücher, um angebliche Gefahren durch „unaufgeklärte" Muslime, um eine angeblich fehlende Gleichberechtigung im Islam und so weiter.

Jeder Muslim in Deutschland kennt diese Floskeln und jeder wurde sicher schon mal gefragt, ob die eigene Mutter auch ein Kopftuch tragen muss oder ob man denn gläubig sei. Die Tatsache ein frommer Muslim zu sein – egal in welcher Form - wird leider im Westen oft als Bedrohung wahrgenommen. Auf der anderen Seiten pflegt man aber romantisierte Vorstellungen vom Buddhismus und übersieht die radikalen Mönche, die in Myanmar einen Völkermord gegen Muslime anstacheln.

Das Scheitern von Politik und Gesellschaft am Beispiel der Gastarbeitergeneration

Auch stellt man allzu gerne sozialpolitische Missstände fälschlicherweise in einen religiösen Kontext. Wenn Gastarbeiterkinder der zweiten oder dritten Generation kein vernünftiges Deutsch beherrschen, keinen gesellschaftlichen Aufstieg schaffen, so liegt das angeblich an der kulturell-religiösen Prägung.

Vergessen wird, dass die Gastarbeitergeneration in Deutschland über Jahrzehnte ausgebeutet und benachteiligt wurde. Sie musste die Drecksarbeit leisten, für die sich andere zu schade waren. Dafür bekamen sie bis heute keine ausreichende Dankbarkeit entgegengebracht. Sie waren stattdessen bis in die Gegenwart hinein gezwungen, in brüchigen, menschenunwürdigen Betonsilos zu hausen. Viele davon besaßen nicht einmal ein eigenes Badezimmer. Später wurden sie dann in eigene Viertel separiert. Die Gastarbeiter nahmen das alles hin, da sie kaum Möglichkeiten besaßen, um ihren Sorgen und Nöten Gehör zu verschaffen oder sich gesellschaftlich zu partizipieren.

Die Politik und Gesellschaft war lange Zeit taub und blind für die Bedürfnisse der Gastarbeiter und ihrer Familien. Der institutionelle Rassismus, der auch heute immer noch nicht vollständig beseitigt ist, war damals viel drastischer zu spüren: In der Schule, beim Gang zum Amt, beim Arbeitgeber - überall dort, wo Begegnungen stattfanden.

Doch während der Rassismus im vergangenen Jahrhundert eher ethnisch geprägt war, richtet er sich heute gegen den islamischen Glauben. Wenn die Muslime die Anfeindungen kritisieren, werden sie oft beschuldigt, sich in eine Opferrolle zu begeben. Man solle sich doch nicht anstellen, vieles sei schließlich selbst zu verantworten. Aber nein, so ist es nicht!

Neuseeland – Vorbild für eine islamfreundliche Gesellschaft

Dass Integration und Zusammenleben auch anders laufen kann, sieht man in Neuseeland. Das Land verkörpert eine vorbildliche Willkommenskultur, die glaubhaft erscheint. Authentisch waren daher auch die Reaktion der Neuseeländer und die Anteilnahme der Premierministerin Jacinda Ardern nach dem Terroranschlag. Ihre Tränen waren echt.

In Neuseeland leben etwa 50.000 Muslime: das macht gerade mal 1 Prozent der Bevölkerung aus. In Deutschland leben rund 5 Prozent. Die größte Islamfeindlichkeit kommt erstaunlicherweise aus dem Osten Deutschlands, wo so gut wie keine Muslime leben. Der Hass gegenüber dem Islam entsteht also nicht aus einer „Überfremdung" heraus, wie gerne suggeriert wird.

Doch wie kommt es dann zu solchen Feindbildern? Etwa jeder zweite Deutsche hält den Islam für gefährlich, fast genauso viele stören sich am Moscheen-Bau, wie aus Umfragen hervorgeht. Die Hauptursache liegt ganz klar bei den Medien und in der Politik. Der Islam erscheint fast immer im negativen Kontext und vor allem im Zusammenhang mit Terrorismus. Debatten sind oft eindeutig ausgerichtet und bedienen damit immer wieder die gleichen Stereotypen. Muslime müssen sich für vieles rechtfertigen, gegen vieles einstehen, sich zu vielem bekennen. Doch am Ende reicht es dann doch nicht, um vollständig akzeptiert zu werden.

In Neuseeland sind den Muslimen solche Probleme und Anfeindungen glücklicherweise fremd. Niemand versucht sich in ihren Glauben einzumischen, sie zurechtzuweisen oder als Sündenbock darzustellen. Andersrum klagen die Muslime dort - die größtenteils aus Flüchtlingen und Einwanderern bestehen - über keinerlei gesellschaftliche Ausgrenzung. Niemand stört sich an ihrer landestypischen Tracht - an den Bärten der Männer oder den Schleiern der Frauen. Ganz im Gegenteil: Der Imam der angegriffenen Moschee hat ausdrücklich seine Liebe und sein Vertrauen zu Neuseeland betont. Nach dem brutalen Terrorangriff habe es unzählige Solidaritätsbekundungen gegeben, fremde Menschen hätten ihn umarmt und seine Trauer geteilt. Hier in Deutschland hätten wohl die meisten die Straße gewechselt, wenn ein Mann im langen Gewand und mit Vollbart auf sie zukommen würde.

Umso verwunderlicher und trauriger ist es, dass ein derart perverser Terroranschlag gegen Muslime ausgerechnet in Neuseeland verübt worden ist.

Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen