Bitte überlassen Sie die Geschichte den Historikern

MAXIME GAUIN
Veröffentlicht 23.05.2016 00:00
Aktualisiert 23.05.2016 15:50

Die Gedenkfeier „Völkermord an den Armeniern" in Jerewan im vergangenen Monat bestätigte die schwierige Lage der armenischen Regierung. Nach ihrer Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Perinçek gegen die Schweiz, versucht sie Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem sie Preise verleiht, die mit der Tragödie 1915 nichts zu tun haben, und mit Künstlern wie George Clooney, die nicht die Kompetenz haben, über die Geschichte zu entscheiden. Entsprechend konnte der Koordinierungsausschuss der französisch-armenischen Verbände in Paris keinen höheren Sprecher einladen als den Staatssekretär für europäische Angelegenheiten. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein starker Unterschied.

In Deutschland versuchen manche Politiker die Anfang 2015 beschlossene offizielle Haltung von Berlin umzukehren. Zu dieser Zeit hatte sich die deutsche Regierung ausdrücklich geweigert, den „Völkermord an den Armeniern" anzuerkennen, wegen des Fehlens jeglicher Urteile eines internationalen Gerichts. Es war keine Überraschung, dass diese Aussage diejenigen empörte, die glauben, dass die Geschichte der Türken und Armeniern von Menschen entschieden werden, die nicht in der Lage sind, Erzurum und Bitlis auf einer Karte zu zeigen. Wie üblich verwenden sie Johannes Lepsius als Referenz, vergessen aber geflissentlich, seine rassistischen und antisemitischen Ansichten, die er offen verteidigt, sowie seine Fälschung von deutschen diplomatischen Dokumenten, die er 1919 veröffentlichte. Die Fälschung wurde vor 13 Jahren von Mustafa Çolak aufgedeckt in dem Band LXVI, Nr. 247, Dezember 2002 Belleten der Türkisch-Historischen Gesellschaft. Çolak verglich die Version von Lepsius mit den Originaldokumenten und veröffentlichte die originalgetreuen Kopien in einem Anhang zu seiner Veröffentlichung. Unlängst wurden Lepsius Fälschungen von Guenter Lewy in seinem Buch "The Armenian Massacres in Ottoman Turkey" (Die Armenier Massaker in der osmanischen Türkei) analysiert. Entsprechend ist es inzwischen fest etabliert, dass die Verteidigung von Soghomon Tehlirian auf eine völlig fiktive Erzählung von Tehlirians Leben basiert. Tehlirian war der Mörder von Talat Pascha in Berlin 1921 zu dem Lepsius beigetragen hatte. Beispiele für diese fiktiven Erzählungen sind Jacques Derogys „Resistance and Revenge" (Widerstand und Rache) und Marian Nesrobian MacCurdys „Sacred Justice: The Voices and Legacy of the Armenian Operation Nemesis" (Heilige Gerechtigkeit: Die Stimmen und Vermächtnisse der Armenischen Operation Nemesis).

Ein Aktivist dieser Art, der an die Überlegenheit der „arischen Rasse" geglaubt hat und log, um ein Attentat rechtzufertigen, wird vom deutschen Bundestag als Referenz genutzt, um ein Urteil darüber abzugeben, obwohl der Umfang der Evolution der deutschen Gesellschaft in den letzten sieben Jahrzehnten zur Diskussion offen steht.

Bedrohungsprobleme und Probleme der Bedrohung

Außer diesem spezifischen deutschen Fall, und der wiederholten Anwendung von Lepsius, trotz all der Informationen, die gegen ihn angesammelt wurden, wird dieser Trend immer wieder verwendet werden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Zabel Yesayan (1878-1943). Yesayan wird von verschiedenen Menschen als einfache Schriftstellerin und aufrichtige Osmanismus-Bekennende dargestellt. Diese Menschen haben in der Regel in keinem Archiv gearbeitet, zum Beispiel William Armstrong der Hürriyet Daily News, der Yesayan durch diese Darstellung als zuverlässige Quelle ansieht. Tatsächlich war Yesayan eine extreme armenische Nationalistin. Sie vertrat die Delegation für Integral Armenien, die nach dem Ersten Weltkrieg forderten, dass Armenien beginnend vom Kaukasus sich nach Mersin und Adana erstreckt. Die Delegation wurde von der Ramgavar Partei dominiert, eine nationalistische Organisation, die besonders 1919 von den französischen Offizieren für die Verbrechen und Disziplinlosigkeit der armenischen Legion beschuldigt wurden. Diese Behauptungen werden von hasserfüllten Briefen des ägyptischen Ramgavar Party bestätigt, in dem sie „Rebellion" predigten und Frankreich „diese Hündin" nannten. Diese Briefe wurden von der französischen Zensurbehörde abgefangen. Als sich 1920 herausstellte, dass die französische Besetzung von Kilikien sich nicht zu einem armenischen Staat formen würde, ging Yesayan nach Istanbul und drohte dem französischen Hochkommissar Albert Defrance, ohne die kontraproduktive Wirkung ihrer Aussage zu erkennen. Im Falle eines französischen Rückzugs „müssen die Armenier Probleme und Vorfälle mit den Muslimen provozieren, damit die Franzosen bleiben und intervenieren". Dies waren keine leeren Worte. „Die armenischen wichtigen Persönlichkeiten von Smyrna spendeten 100.000 Lira, um Kampforganisationen zu gründen und zu unterstützen. Es ist ihr Ziel Probleme zu provozieren und die Franzosen zur Intervention zu zwingen", Albert Defrance schickte diesen Telegramm an die Quai d'Orsay am 4. Juli 1920. Heute kann dieses auf dem Mikrofilm 16 674 im Archives du ministere des Affaires etrangeres gefunden werden.

Noch dramatischer war, dass ein paar Wochen vor Yesayans Drohung, am 12. Juni 1920, eine Gruppe von Armeniern und Assyrern 45 Türken, zumeist Frauen und Kinder, in Adana töteten. Einige Opfer wurden „schrecklich verstümmelt" schrieb Kapitän Dromard in seinem Bericht über das Massaker. Ein Haupttäter wurde ohne Gerichtsverfahren von dem französischen Lieutenant Jacques Lemaigre Dubreuil und seinen Männern erschossen; 26 andere wurden von dem französischen Militärgericht von Adana verurteilt, darunter fünf zum Tode. Daraufhin leerten die anti-türkischen Unruhen, die von den armenischen Nationalisten organisiert wurden, die Stadt von ihrer muslimischen Mehrheit. Völlig entnervt befahl der französische Oberst Edouard Bremond, dass die armenischen und assyrischen Verbrecher ohne Prozess gehängt, und ihre Leichen öffentlich präsentiert werden (Der auf den 10. Juli 1920 datierte Befehl kann hier nachgeschlagen werden: Centre des archives diplomatiques de Nantes [CADN], box 1SL/1V/139). Fünf Armenier und ein Assyrer wurden am Galgen hingerichtet und der sechste Armenier wurde erschossen, als er zu entkommen versuchte. Tatsächlich konnten nur diese radikalen Maßnahmen etwas Ruhe wiederherstellen. Zur gleichen Zeit schrieb Paul Bernard, der verantwortlich für die Finanzen der französischen Verwaltung war, in seinem persönlichen Tagebuch, über die Drohung Yesayans und die Probleme, die mit ihr kamen: „Die Armenier tun, was sie können, um uns zu schaden: Dies ist die Wahrheit." Nach der antisemitischen Tradition des armenischen Nationalismus griffen armenische Plünderer die Synagoge in Adana an, um einer Gemeinschaft zu schaden, die traditionell mit Frankreich und der osmanischen Regierung verbunden sind (siehe den Bericht von Major Tommy Martin vom 1. August 1920 in CADN, box 1SL/1V/135).

Dies war das wahre Gesicht von Yesayan und ihr Kontext ihrer Warnung. Letzten Endes wurden diese Drohungen teilweise ausgeführt, als sie ihre Glaubensbrüder zwangen (rund 60.000 Menschen) Kilikien mit der französischen Armee Ende 1921 zu verlassen. Ein weiterer Grund war es eine Koexistenz zu verhindern, was vor allem im wirtschaftlichen Interesse der kemalistischen Regierung sowie der Franzosen war, denn der Bau von Häusern für rund 60.000 Menschen in Syrien und dem Libanon war äußerst teuer. Laut dem Bericht der französischen Kommission der Evakuierung war der Rückzug und das Eintreffen der türkischen Truppen „von keinem Vorfall gezeichnet". Am 9. Dezember 1921 haben jedoch die Leiter der orthodoxen, katholischen und protestantischen Religionsgemeinschaften Henry Franklin (der Haupt-Mittelsmann der Franzosen) berichtet, dass das Leben der Armenier, die bleiben wollten von ihren Glaubensbrüdern bedroht wurden. Dies ist der Hauptgrund, warum heute fast keine Armenier in der Region leben. Die Verlagerung von 1915-1916 von der osmanischen Armee, als Maßnahme der Aufstandsbekämpfung, ist einer der Gründe für den demographischen Verlust - Tod und Migration - der osmanischen Armenier. Doch ist es bei weitem nicht der Einzige.

Darum möchte ich den Politikern, Schauspielern und Sängern, die anscheinend ihre tatsächlichen Rollen vergessen, etwas sagen: Bitten überlassen Sie die Geschichte den Historikern.

*Master der Geschichte von der Universität Paris-Sorbonne

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