Der westlich kontrollierte Putschversuch

AVNI BILGIN @AvniBilgin
Veröffentlicht 15.07.2017 00:00
Aktualisiert 15.07.2017 17:39

Heute jährt sich zum ersten Mal eines der brutalsten und schwärzesten Tage den die türkischen Bürger seit Gründung ihrer Republik erleben mussten. Mit gekaperten Maschinengewehren, Panzern, Kampfhubschraubern und F-16-Kampfflugzeugen massakrierte am 15. Juli 2016 eine parasitäre Gruppe von Verschwörern im Umfeld des Terrorpredigers Fetullah Gülen, 249 türkische Bürger.

Dieser Putsch unterschied sich in vielerlei Hinsicht von den vier anderen (leider erfolgreichen) Putschversuchen in den letzten fünf Jahrzehnten zuvor, deren Vorgeschichten begleitet wurde durch politische und wirtschaftliche Instabilität, durch Armut und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. Sie unterschied sich auch in der Zerstörungswut, dem Hass und der Brutalität, mit der die Zivilbevölkerung und der Staat angegangen wurden. Vor allem aber, unterschied er sich in der diametralen Reaktion zwischen der eigenen Bevölkerung und ausländischer Staaten.

Während des Putschversuches im Jahre 2016 war die Türkei politisch so stabil wie nie zuvor. In der durch „1-Jahres-Koalitionen" geprägten Türkei, hatte es die AK-Partei wieder geschafft, so viele Wähler hinter sich zu vereinen, dass sie zum vierten Mal in Folge mit der absoluten Mehrheit regieren durfte. Wirtschaftlich hatte sich die Türkei unter Erdoğan von einem Armenhaus im Jahre 2002 zu einem modernen Wohlfahrtsstaat entwickelt, und gilt weiterhin als eines der größten Volkswirtschaften (Rang 17/2016) der Welt.

Die Frage, wieso trotz all dieser positiven Bedingungen, es geschehen konnte, dass die Türkei den brutalsten Putschversuch ihrer Geschichte erlebte, muss also in einem ganz anderen Kontext geklärt werden. Aus einer neuer Ausgangslage heraus, wo ein schnell wachsendes Land, wie die Türkei, immer mehr regional und global an Einfluss gewinnt und dabei die Interessen der EU, USA und anderen globalen Mächten durchkreuzt.

Es ging also bei diesem Putschversuch nicht vorrangig um die Innenpolitik, sondern vielmehr um den Versuch auf eine brutale Art und Weise den außenpolitischen Kurs der Türkei mit westlichen Interessen gleichzuschalten. Es ging um die prinzipielle Frage, wer das „natürliche Vorrecht" besitzt, den politischen Kurs dieses großartigen Landes zu bestimmen: Die türkischen Wähler durch ihre politischen Vertreter, mittels demokratischen Prozessen oder irgendwelchen Gestalten aus Berlin, Washington oder Pennsylvania.

Es ist zutiefst unrealistisch zu glauben, dass die brutalen Schergen des in den USA residierenden Terrorpredigers, im Jahre 2016 ein Putschversuch in einem NATO-Staat durchführen konnten, ohne sich zuvor bei den Wirten im Westen rückversichert zu haben, wo bei einem „Erfolg" politischen Rückhalt genossen hätten. Westliche Staaten haben oftmals bewiesen, dass sie voll und ganz auf der Seite der brutalen Putschisten stehen, zumindest solange diese ihre Waffen abkaufen, ihre Innen- und Außenpolitik nach kolonialen Interessen gestalten oder anderen Interessen dienen. Man erinnere sich an den roten Teppich, mit dem der tausendfache Mörder und Putschgeneral Sisi regelmäßig in Deutschland auf Staats- und Regierungsebene empfangen wird.

Vieles deutet darauf hin, das westliche Regierungen durch ihre Geheimdienste schon länger konkrete Informationen von dem geplanten Putsch in der Türkei hatten und in Kontakt mit den Drahtziehern des Putsches standen. Man darf daran erinnern, wie nur wenige Tage nach dem Putschversuch, ein enttäuschter US-Außenminister indirekt der Türkei damit drohte, sie aus der NATO auszuschließen. Oder wie führende westliche Politiker sich erst nach mehreren Wochen dazu aufbringen konnten, sich in der Türkei blicken zu lassen, um Solidarität vorzugaukeln.

Heute, ein Jahr nach dem Putschversuch, müssen wir ernüchternd feststellen, dass viele der brutalen Putschisten Zuflucht in Deutschland, den USA oder anderen westlichen Staaten gefunden haben. Sie wurden nicht nur proaktiv von hochrangigen Politikern wie Justizminister Heiko Maas (SPD) eingeladen nach Deutschland zu flüchten, sondern bekamen auch einen besonderen Vertrauensbonus durch höchste Sicherheitskreise, wie vom deutschen Geheimdienstchef Bruno Kahl, der in einem einmaligen Vorgang in der BND-Geschichte vor die Presse trat und einer seit Jahren in Deutschland umstrittenen Organisation, rund um Fetullah Gülen, mit fast lobenden Worten eine reine Weste bescheinigte.

Diese fast perverse Solidarität mit den Putschisten wurde zusätzlich begleitet von einer gänzlich fehlenden Anteilnahme und Mitgefühl für die Opfer des Putsches. Während also die Putschistenkreise politisch in den Himmel gelobt und aktiv unterstützt wurden, haben gleichzeitig hiesige Medien, in einem zutiefst abstoßenden Reflex, die türkischen Zivilisten, die sich vor die Putschisten gestellt haben, die ihr Leben für die Demokratie ließen, verschmäht als „islamistische Schlägertrupps der AKP" oder „fanatische AKP-Anhänger, die sich vor die Panzer werfen".

Auf der einen Seite enthielten Medien ihren Konsumenten systematisch die Aufzeichnungen über die Putschopfer vor, sodass viele nur über die sozialen Medien an Bild- und Videomaterial herankamen, auf der anderen Seite wurden jene Bilder aus der Putschnacht in den Fokus gerückt, wo zuvor angeschossene und wütende Zivilisten, die Putschisten attackierten. Zeitgleich wurden die von den wahren Tätern ablenkenden Propaganda- und Verschwörungstheorien in Umlauf gebracht, wie zum Beispiel das absurde Gerede von einem angeblich „selbstinszenierten Putsch", das später dann in dem von der türkischen Opposition und westliche Medien ausgeschlachteten Schwachsinn des „kontrollierten Putsches" mündete.

Das Ziel der Medien in diesem ganzen Theater war und ist auch immer noch durchschaubar. Nach dem misslungenen Putsch sollten die Täter geschützt werden, indem man sie zu Opfern verklärte. Und die Opfer sollten zu Tätern verklärt werden, indem man sie mit Attributen wie „islamistische Schlägertrupps der AKP" oder „fanatische AKP-Anhänger" betitelte. Aufmerksam Beobachter der westlichen Politik kommen schnell zu dem Schluss: Für den angeblich werteorientierten Westen spielten weder die Solidarität, noch die Trauer und das Mitgefühl für die Verletzten und 249 Toten türkischen Bürger eine Rolle, es geht einzig und allein um die Sorge und die Solidarität mit den blutigen Putschisten.

Der ganze Zorn der westlichen Politik und Medien richtete sich also nicht gegen die Putschisten, sondern gegen die widerstand leistende türkische Zivilbevölkerung und gegen die demokratische Regierung der Türkei. Wenn es also einen „kontrollierten Putsch" gab, dann einen „westlich kontrollierten Putschversuch". Alles, wirklich alles, deutet darauf hin...

Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen
DAILY SABAH VORSCHLÄGE