Medien Feuer frei!

EVELYN HECHT-GALINSKI @VomHochblauen
Veröffentlicht 07.11.2018 00:00
Aktualisiert 07.11.2018 19:22
EPA

Schlägt man deutsche Presseorgane auf, dann denkt man tatsächlich, man befände sich in einem Medienkrieg gegen Erdoğan. Es sind keine sachlichen Diskussionen mehr, wenn dieser Name fällt. Es wird förmlich immer wieder nach neuen Angriffszielen gesucht, um Erdoğan in Misskredit zu bringen – und diese werden natürlich immer gefunden.

Selten hatten wir es mit einer so konzertierten Hass-Aktion wie bei dieser zu tun. Die Hemmschwelle hat alle Dämme gebrochen, wenn es um Erdoğan und seine Wähler geht. Da wird gnadenlos mit Schmutzkampagnen gearbeitet, die man so eigentlich im deutschen Blätter- und Fernsehwald nicht erwartet hätte.

Ich erinnere mich an Interviews, die an deutlichen Fragen nichts offen ließen - und die ich, wenn es um den israelischen Präsident Netanjahu oder den „Jüdischen Staat" geht, völlig vermisse. Wieder einmal haben wir es mit unglaublichen Doppelstandards zu tun. Während die Kritik an Israel größtenteils unter den Tisch gekehrt wird, wird die Türkei unter Präsident Erdoğan zum Buhmann der Nation hervorgehoben. Hat das vielleicht was mit dem Kulturkampf gegen den Islam zu tun, zudem sich die „christlich-jüdische Werteallianz" verbündet hat - um so die Muslime zu stigmatisieren und Christen und Juden als Kämpfer für die Freiheit zu verklären? Der Gedanke sollte uns alle mit Angst erfüllen. Denn mit dieser Art der Politik wandert man auf den Spuren der Rechtspopulisten.

Nehmen wir das Beispiel Ditib: Während diese Religionsbehörde als von der Türkei abhängig verteufelt wird und man sogar beabsichtigt, eine Verfassungsschutzbeobachtung durchzuführen, gewährt man dem Zentralrat der Juden, als Sprachrohr von Israel in Deutschland, einen Freibrief.

Als Ende September Präsident Erdoğan auf Einladung von Bundespräsident Steinmeier seinen Staatsbesuch absolvierte, ereignete sich bei der Tischrede Steinmeiers beim Festbankett ein unerwarteter Affront. Er warf alle Etikette über Bord und äußerte sein Missfallen über die Menschenrechtslage in der Türkei unter Erdoğan. Haben wir so etwas schon einmal erlebt? Wohl kaum. Denn eine derartige Provokation hat es zuvor noch nie gegeben! Gerade Bundespräsident Steinmeier, als oberster Hüter des Protokolls in Deutschland, sollte doch sehr genau wissen, was Benehmen bedeutet.

Stellen wir uns einmal vor, er hätte das gleiche beim Abendessen für den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu veranstaltet - da hätte es sich sicherlich angeboten, auf die Menschenrechtslage einzugehen, ebenso auf die illegale israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik und diese aufs Schärfste zu kritisieren. Was wäre geschehen? Und was wären die Konsequenzen gewesen? Diese Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben. Denn solche Befürchtungen gelten in Deutschland meist als unbegründet. Was soll man aber auch von einem Bundespräsidenten erwarten, der so gut wie alle anderen deutschen Politiker größtenteils unkritisch mit der verbrecherischen Politik des „Jüdischen Staates" umgeht - lieber dort Bäume pflanzt und 70 Jahre Freundschaft mit Israel pflegt.

Nein, er lud sogar Cem Özdemir, den grünen Giftsprüher gegen Erdoğan, zum Dinner ein, der sich dann auch noch damit brüstete, Erdoğan die Meinung gesagt und ein Signal gesetzt zu haben. Glücklicherweise hatten die linke Dağdelen, ebenso wie FDP-Lindner, die Grünen-Spitze und die AfD–„Führer" Gauland und Weidel sowie Meuthen abgesagt.

Auch hier liegt mir ein Vergleich nahe: Wären bei einem Staatsbankett für israelische Politiker ebenso feurige Kritiker eingeladen worden, wie es beim Staatsbankett mit dem türkischen Präsidenten der Fall war? Wohl kaum. So etwas hätte man Netanjahu und Co. natürlich nicht zugemutet. Die Kritiker Israels sind schließlich alles Antisemiten sowie „selbsthassende" Juden

Hätte ein deutscher Politiker es gewagt, sich so gegen Politiker des „Jüdischen Staates" zu benehmen, wäre sofort die Antisemitismus Keule geschwungen worden. Aber im Fall des türkischen Präsidenten wird die Kritik natürlich nicht auf die gleiche Weise mit „Islam-Hass" gleichgesetzt.

Das ist Deutschland 2018, eine philosemitische Republik, in der Islamophobie an der Tagesordnung steht und wo sich Millionen von Türken verständlicherweise ausgegrenzt fühlen.

Zugleich kann man Erdoğan nur völlig zuzustimmen, wenn er sein Foto mit Özil und Gündoğan nicht bedauert, denn da gibt es nichts zu bedauern. Beklagen sollte man aber die rassistische Hetze gegen die beiden, die danach folgte und zum bekannten Eklat führte. Fazit für das Leben in Deutschland als Mensch mit türkischem Migrationshintergrund: Einmal Türke, immer Türke – „Türke" als Synonym für Ausländer.

Hätte Präsident Erdoğan, der kürzlich zur Syrien-Konferenz einlud, sich so ungastlich gegenüber Kanzlerin Merkel benommen? Sie dafür abgekanzelt, dass sie sich seit ihrem Amtsantritt gegen einen EU-Beitritt der Türkei stemmt? Oder sie die Türkei als willigen Flüchtlingsabnehmer benutzt?

Was für ein Shitstorm wäre in den Medien ausgebrochen... Aber das hat es uns die türkische Gastfreundschaft voraus, es hätte dort niemals zu so einer derartigen Provokation kommen können. Im Gegensatz dazu hat sich der deutsche Bundespräsident als miserabler Gastgeber gezeigt.

Die Türkei hat einen schlimmen Putschversuch überlebt, wobei Präsident Erdoğan nur durch viel Glück und die Loyalität vieler Millionen sein Leben retten konnte. Ist es da nicht mehr als verständlich, dass der offizielle Ausnahmezustand in der Türkei mehrmals verlängert worden ist? Zumal der vermutliche Drahtzieher dieses Putsches unbehelligt in den USA sitzt und Deutschland sich zu einem Lieblingsland der Gülen-Bewegung und ihrer Anhänger entwickelt hat. Auch in diesem Punkt ist ein Umdenken mehr als überfällig.

Sicher gibt es auch viele Punkte in der türkischen Politik zu kritisieren, aber gilt das nicht auch für die deutsche Politik? Haben wir es jemals erlebt, dass sich die Bundesregierung mit dem gleichen Elan für inhaftierte palästinensische Journalisten in Israel eingesetzt hat, so wie sie es bei der Türkei tut? Nein, tatsächlich lehnt es Merkel ab, sich in „interne Angelegenheiten" des „Jüdischen Staates" einzumischen. Interne Angelegenheiten? Doch nicht, wenn es um ein „Nationalgesetz" geht, dass den Nürnberger-Rassegesetzen in Nazideutschland ähnelt.

Als Präsident Erdoğan zu Recht Israel nach Einführung des Nationalgesetzes als das „rassistischste Land der Welt" bezeichnete und dem Land Faschismus vorhielt sowie Vergleiche mit den Nazis zog, da wurde er natürlich sofort kritisiert. Und das, obwohl er genau das aussprach, was alle westlichen Politiker endlich hätten sagen sollen.

Prompt kam Netanjahus Retourkutsche, als er die Türkei als „dunkle Diktatur" diffamierte und das Nationalgesetz als „entscheidenden Moment in der Geschichte des israelischen Staates" bezeichnete. Genau das ist es, was diesen Staat endgültig als das entlarvt, was er in Wirklichkeit ist: Ein zionistisch motivierter Besatzerstaat, der die Judaisierung Palästinas zur Staatsräson gesetzt hat. Ein Staat für den jedes Massaker, jede Enteignung und jedes „Gesetz" legitim ist, um dieses Ziel zu erreichen. Vergessen wir nicht den völkerrechtswidrigen Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, der für jeden Muslim auf der Welt einer Ohrfeige gleichkommt.

Woche für Woche werden Palästinenser, die sich im „Marsch der Rückkehr" für Freiheit einsetzen, getötet. All das ist aber in Deutschland kaum mehr eine Nachricht wert, schließlich sind es in den Augen mancher nur „palästinensische Extremisten/Terroristen", die sich gegen die „moralischste" aller „Verteidigungsarmeen" zur Wehr setzen.

Wer außer Präsident Erdoğan setzt sich auf der Weltbühne sonst noch mit dem gleichen Eifer für die Palästinenser ein? Jetzt, wo sie immer mehr verlassen und vergessen werden - und nicht mehr interessant für die Weltpolitik zu sein scheinen.

So wäre es an der Zeit, dass Präsident Erdoğan seine Stellung als Präsident eines Nato-Mitgliedstaates nutzt und zu einem Palästina-Gipfel nach Istanbul einlädt. Diesmal mit Russland, den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und arabischen Staaten sowie mit den Vertretern der UNO - um endlich eine gerechte und endgültige Friedenslösung für die Palästinenser zu erreichen.

Scheint nicht Erdoğan der Einzige zu sein, der noch als unabhängiger und glaubwürdiger Vermittler in Frage kommt?

Außerdem ist es festzuhalten, dass der brutale saudische Mord im Konsulat in Istanbul die Weltgemeinschaft im Bezug auf das Verhalten von Saudi-Arabien aufrütteln sollte. Man sollte den Jemen-Völkermord als Signalnehmen, und keine Waffen mehr in Krisen- und Kriegsgebiete liefern. Stattdessen sollte man für Frieden arbeiten. Aber das werden wir wohl nicht erleben. Solange diese mörderischen, unheilvollen westlichen Allianzen erhalten bleiben und die Menschenrechte zu einer Phrase der heuchlerischen „Wertegemeinschaft" verkommen, ist Hopfen und Malz verloren. Während das diktatorische Saudi-Arabien ebenso wie die ägyptischen „Putsch-Pharaonen" unter al-Sisi fast kritiklos umgarnt werden - ähnlich wie das Netanjahu-Regime - wird auf der anderen Seite nichts ausgelassen, um Erdoğan und Putin tatkräftig zu diffamieren.

Gerade erst wurde einer der größten Flughäfen der Welt, der neue Airport am Bosporus, eröffnet, und schon ziehen deutsche Medien hämisch über diesen beispielhaften Flughafen her. Nach dem Motto: „Sultan Erdoğan" hat nach seinem Palast nun wieder ein Großprojekt der „Geltungssucht" gebaut, dass nur dazu dienen soll, seine Machtpolitik als „Monument des Sieges" darzustellen.

Warum springt man nicht einmal über den eigenen Schatten und stellt diesen beispielhaften Flughafen als gelungenes Beispiel für ein Bauvorhaben dar? Das lässt wohl der deutsche Neid nicht zu. Tatsächlich ist die Türkei dazu in der Lage, riesige und wichtige Bauvorhaben auch pünktlich fertigzustellen - im Gegensatz zu Deutschland und seinem Fiasko im Bezug auf den Berliner Großflughafen und Stuttgart 21. Diese gelten als besonders misslungene Projekte auf Lasten des deutschen Steuerzahlers. Man sollte der Türkei neidlos gratulieren für die vielen gelungenen Projekte, die beispielhaft für Deutschland sein sollten.

All das wird deutsche Bürger mit türkischen Wurzeln in Deutschland immer mehr in die Migration treiben. Präsident Erdoğan wird dadurch nur weiter als Befreier und Beschützer gesehen, der das Selbstwertgefühl dieser Menschen stärkt. Genau das sind Sachen, die ihnen von deutscher Seite aus immer mehr verwehrt bleiben. Integration sieht anders aus. Ignoranz und Verachtung gegenüber türkischen und muslimischen Bürgern werden durch die Journalismus-Kampagnen gegen Erdoğan nur noch verstärkt. Türkisch-muslimische Bürger in Deutschland sind eine Bereicherung für unsere Kultur. An deren Integration lohnt es sich zu arbeiten, um ein positives Medien-Feuer zu entfachen.

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