Angezogen - Der Trend von Morgen

MEVLA SALES AYTEKIN
Veröffentlicht 03.09.2016 00:00
Aktualisiert 03.09.2016 20:22
Aus der ’Abaya Collection’ von Dolce & Gabbana
Aus der 'Abaya Collection' von Dolce & Gabbana

Burka-Verbote, Burkini-Verbote und Kopftuch-Debatten. Die muslimische Frauenkleidung ist in der westlichen Gesellschaft angekommen. Die investierte Aufregung ist erstaunlich. Im Kampf um Kopftuch, Niqab, Burka und Burkini zeigt sich die beginnende Einwirkung islamischer Kulturen auf das westliche Modeideal.

Frauen im muslimisch-orthodoxen Kleidungsstil haben endlich die Bühne der Öffentlichkeit betreten und verändern sichtbar das Straßenbild, die Strände, Schulen, Universitäten und Ämter Europas. Die gewaltsame Entkleidung von Frauen, ob das nun das Kopftuch oder der Burkini ist, wird man als frauenemanzipatorisches Gesetz nicht implementieren können. Zu weit liegt das Mittelalter und zu nah die errungene Freiheit der französischen Revolution, zu tragen was man möchte. Die Mode bestimmt seither, was getragen wird und was nicht. Während an mögliche Kleidungsverbote gedacht wird, um den westlichen Kleidungsstil zu bewahren, ist zu erwarten, dass die Veränderung durch ein Hintertürchen kommt - nämlich: Trend. Ist es möglich, dass der muslimische Kleiderkodex in Zukunft von den großen Kleiderketten angeeignet wird? Ist muslimische Frauenkleidung Morgen kommerziell? Vielleicht ist kunstvolles Verhüllen des nackten Körpers der Punk von Morgen?

In der Mode sind muslimische Kleiderpraktiken noch nicht angekommen, dafür sehr provokativ und effektiv im Straßenbild. Geschichtlich gesehen ein bekannter Weg, wie Modetrends entstehen. Trends entstehen durch kulturelle und historische Brüche. Und es scheint, als stünden wir vor einem Umbruch.

Die Bevölkerung Westeuropas prägt mit auch immer mehr Muslime. Ob es nun die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge, oder die bereits vor Jahrzehnten immigrierten Muslime und ihre in Europa geborenen Kinder sind. Vor allem ist es die dritte Generation, die sich zu Recht ihrer Identität nicht schämt, nicht im Hintergrund bleibt - sondern aktiv in der Ankunftsgesellschaft ihrer Eltern mitwirkt und integriert ist. Diese Kinder, sowie die morgigen Kinder der heutigen muslimischen Flüchtlinge werden es sein, die sich vor ihrem muslimischen Hintergrund europäische Kleidungspraktiken aneignen werden und damit auch umgekehrt auf sie einwirken werden. Die Kulturwissenschaftlerin Barbara Winken schreibt, dass die islamischen Kulturen bereits begonnen haben auf das westliche Modeideal zu reagieren. Dafür nennt sie den Kleid-über-Hose-Trend, der seinen Ursprung darin hat, wie sich muslimische Frauen im Westen vor ihrem muslimischen Kleidungskodex westliche Kleidung angeeignet haben. Diese vorher undenkbare Zusammensetzung wurde von den großen Kleiderketten wie H&M und Zara in den Mainstream gebracht. In New York hat ein großes Kaufhaus unter dem Slogan "get scarfed" ("tragt Kopftuch") ihre neue Frühjahrs Kollektion beworben. Aber auch Modefirmen, wie Marks&Spencer und Mango, haben neuerdings Kollektionen für die muslimische Frau auf den Markt gebracht. Hochpreisige Modeschöpfer wie Dolce&Gabbana entwerfen Niqabs und Abayas. Und die Modekette H&M hat sich vor kurzem in einem Werbeclip mit einem kopftuchtragenden Model beworben.

Es ist Irrsinn zu glauben, dass Morgen alle Frauen Kopftuch tragen werden, denn Mode lebt nicht vom Nachmachen, sondern vom Aneignen. Es wird nicht das florale Kopftuch mit langem Mantel sein, das beispielsweise von vielen Musliminnen in der Türkei getragen wird. Aber irgendeine Art eines neuen Trends, an die westlichen Kleidungspraktiken anlehnend. Dieser neue Modetrend ist ein subtiler und langsamer Prozess vor dem Hintergrund kultureller Veränderungen. Es wäre sehr kurzsichtig nicht zu erkennen, dass in Zukunft der westliche Geschmackskonsens in Frage gestellt wird. Der Zusammenhang von zeigen und verstecken des weiblichen Körpers wird sich in Zukunft ändern.

Vielleicht ist es auch ein erster Schritt dazu zu erkennen, dass die Verschleierung nicht ein Symbol patriarchaler Unterdrückung ist, genauso wie die Unisex-Idee auch eine westliche Illusion ist. Barbara Vinken betont auch in diesem Fall, dass Frauen im Westen ebenfalls "Objekte des Blickes" sind, und Männer eben die, die blicken. Selbst wo Frauen Hosen trügen, dienten sie der Erotisierung. Die weibliche Mode ist meist silhouettenbetont; enganliegende, nackte Akzente dienen dem Blickfang. Männermode verweigere dazu im Gegensatz den Körper nackt zu zeigen. Der Mann betone damit sein "Sein" und die Frau eher den "Schein". Also die Vorstellung Frau und Mann würden beide Hosen anziehen und seien damit gleichberechtigt, ist reine Illusion. Muslimische Frauen, die sich bewusst dazu entschieden haben ihren Körper ganz zu bekleiden, sind sich diesen Unterschiedes zwischen den Geschlechtern bewusst und haben ihren Geschmack und Neigungen bewusst hinterfragt und dekodiert. Ihr vollständiges "Anziehen" hat die Aufgabe ihr "Sein" nicht als weiblichen Reiz verkaufen zu müssen. Nichtsdestotrotz werden Musliminnen aber aus dem eurozentrischen, westlich geprägten, weißen feministischen Diskurs ausgeschlossen. Sie werden als nicht denkende, ihrer Freiheit beraubte, normerfüllende Wesen definiert, die von ihrer Bedeckung (ihrer Kleiderwahl) befreit werden müssen. Ihr Prinzip den Körper zu bedecken und sich damit männlicher Blicke zu entziehen, frei zu werden - wenden jedoch auch in Europa ganz unterschiedliche Frauentypen an. Es sind ebenso Lesben, Katholische Ordensschwestern, oft Witwen, "SwornVirgins", einige Intellektuelle, Frauen an hohen Positionen, Frauen im Alter und Teenagermädchen in männlich geprägten Freundschaftskreisen. Alles Frauen, die durch ihre Kleiderauswahl den Blick der Männer auf ihren weiblichen Reiz entziehen und den Akzent auf ihr "Sein" lenken.

Die stereotype Vorstellung von religiöser Kleidung muss erschüttert werden, und durch die ständige Auseinandersetzung damit, die derzeit im Gange ist, wird das wohl auch der Fall werden. Nur ein ahistorisches Verständnis von Religion versteht die Frauen durch diese Kleiderauswahl als unterdrückt. In Zukunft wird der Umgang mit religiösen Kleidervorschriften spielerischer, aktiver und selbstbewusster werden. Der muslimisch-orthodoxe Stil wird eine neue Inspirationsquelle für die Modewelt von Morgen werden. Und jede Frau sollte so frei sein ihre eigenen Maßstäbe zu setzen und für sie relevante Aspekte umzusetzen. In der Geschichte waren sie leider bis jetzt zu selten Gestalterinnen und Umsetzerinnen ihrer eigenen Kleidernormen.

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