Merkel mahnt London: Keine Rosinenpickerei nach Brexit-Votum

DPA
BERLIN
Veröffentlicht 28.06.2016 00:00
Aktualisiert 28.06.2016 15:48
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nach dem Brexit-Votum die Europäische Union stärken und Großbritannien keine Sonderrolle zugestehen.

„Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden", sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. Merkel forderte die übrigen EU-Mitgliedsstaaten zu Geschlossenheit auf. „Die Europäische Union ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften."

Merkel: „London kann nicht erwarten, dass alle Pflichten entfallen aber die Privilegien bleiben"

Die Kanzlerin stellte klar, London könne nach dem Anti-EU-Votum nicht erwarten, dass alle Pflichten entfielen, die Privilegien aber bestehen blieben. Die Briten dürften nicht glauben, sie könnten den Ablauf der Austrittsverhandlungen bestimmen. „Es muss und es wird einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der Familie der Europäischen Union sein möchte oder nicht."

So müssten für freien Zugang zum EU-Binnenmarkt die Grundfreiheiten wie die Freizügigkeit akzeptiert werden. „Norwegen hat beispielsweise freien Zugang zum Binnenmarkt, weil es die freie Zuwanderung aus der EU akzeptiert", sagte Merkel. Das Brexit-Lager hatte angekündigt, die Zuwanderung selbst nach einem Punktesystem steuern zu wollen.

London bleibt weiterhin ein wichtiger Nato-Partner

Die Kanzlerin betonte zugleich, dass London nach einem Austritt ein wichtiger Partner etwa in der Nato bleiben werde. Die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten deutsch-britischen Beziehungen würden in aller Freundschaft weitergeführt. Dies stehe aber in keinem Widerspruch dazu, dass Deutschland und die EU Verhandlungen auf Grundlage ihrer eigenen Interessen führen wollten. Merkel bekräftigte, vor dem von London offiziell erklärten Austrittswunsch werde es keine Vorab-Verhandlungen geben - „weder formell noch informell". Da dürfe es nicht „das geringste Missverständnis geben".

Bis März 2017 soll ein gemeinsames Ergebnis stehen

Mit Blick auf die Vorschläge für Prioritäten der EU sagte Merkel, Ziel sollte sein, spätestens bis März 2017 - zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge - zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen. Sie schlug vor, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit den transatlantischen Partnern zu stärken.

Opposition: Auch in Deutschland werde Brüssel als „Prügelknabe" benutzt

Die Opposition warf der schwarz-roten Bundesregierung vor, eine Mitschuld am Brexit-Votum zu tragen. Auch in Deutschland werde Brüssel als „Prügelknabe" benutzt, kritisierte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Das Referendum sei „Ausdruck tiefer Unzufriedenheit" mit der EU. Das habe damit zu tun, dass sie ein „grundsätzliches Demokratie- und Transparenzdefizit" habe. „Die Menschen haben das Gefühl, es mit abgehobenen Eliten und Technokraten zu tun zu haben."

Ein starkes Deutschland ist es, wenn in Deutschland europäisch gesprochen wird und nicht, wenn in Europa deutsch gesprochen wird

Die Grünen warnten vor einer deutschen Dominanz in der EU. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: „Ein starkes Deutschland ist es, wenn in Deutschland europäisch gesprochen wird und nicht, wenn in Europa deutsch gesprochen wird." Die Bundesregierung müsse damit aufhören, mit einem „Kerneuropa" den anderen Staaten Vorgaben zu machen: „Wir sind jetzt ein Europa der 27." Es könne für Europa kein „Weiter so" geben, als wäre nichts gewesen.

Die Bundesregierung müsse damit aufhören, mit einem „Kerneuropa" den anderen Staaten Vorgaben zu machen

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verlangte Härte gegenüber Großbritannien bei Verhandlungen über den EU-Austritt. „Es darf keine Belohnung für den Austritt, keine Prämie für Nationalismus und Europafeindlichkeit geben." Dies müsse Kanzlerin Merkel beim EU-Gipfel deutlich machen.

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