Das demokratische Zeugnis der deutschen Medienlandschaft

ABDÜLAZIZ AHMET YAŞAR @ahmetyasar92
LEUVEN
Veröffentlicht 04.08.2016 00:00
Aktualisiert 04.08.2016 10:48
AFP

Am 15. Juli ereignete sich eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Türkei, wo durch die Unterstützung der Bevölkerung ein Militärputsch verhindert wurde. In den internationalen Medien, insbesondere in Deutschland, wurden die Ereignisse in verschiedenen Nachrichtenagenturen und Zeitschriften auf einer Doppelmoral basierend berichtet, dies ohne jede Art von Verantwortung zu übernehmen und überprüfbaren Journalismus darzulegen.

Die Gewaltenteilung ist eine unerlässliche Voraussetzung für moderne demokratische Staaten. Während ein Konsens über die drei Grundpfeiler der Gewaltenteilung besteht, werden Massenmedien von verschiedenen Instanzen als vierte Gewalt anerkannt. Jedoch haben Medien diesen Status in keinem Land juristisch zugesprochen bekommen. Nichtsdestotrotz haben mediale Organe eine signifikante Rolle als Informationsquellen für die breite Masse. Politiker, Geschäftsleute, berühmte Persönlichkeiten und ideologische Gruppierungen berufen sich alle auf Medien um ihrer Sache Gehör finden zu können. Wobei die Pressmedien im späten 18. und 19. Jahrhundert als vierte Gewalt dank ihres erzieherischen Charakters gesehen wurden, hat diese publikative Gewalt in unserer Gegenwart für unzählige Zwecke genutzt.

Die Geschehnisse in der Nacht vom 15. Juli ebneten den Weg zu einer wesentlichen Entscheidung, die die türkische Bevölkerung und alle demokratischen Kräfte in der Türkei nehmen mussten. Ein versuchter Militärputsch, wo Streitkräfte skrupellos ihre Mitmenschen bekämpften hatte man in der Geschichte der Türkei noch nie so erlebt. Militärs zielen normalerweise darauf ab die Unterstützung der Mehrheitsbevölkerung zu erlangen umso ihre Legitimität gegen eine minimale Opposition zu manifestieren und in kürzester Zeit ihre Pläne umsetzen zu können. Allerdings schossen Putschisten auf Zivilisten, Kampfjets bombardierten das türkische Parlament und töteten dutzende Polizisten die sich in Polizeiakademien befanden und nicht im Gefecht mit den Putschisten waren.

Nach 12 Stunden von Gefechten und der klaren Haltung der türkischen Bevölkerung, in erster Linie der Haltung des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, mussten die Putschisten einsehen, dass sie versagt hatten.

Die Berichterstattung deutscher Medien über den 15. Juli

Die klare Haltung der Türkei und ihrer Menschen gegen eine Militärherrschaft wurde von verschiedenen Medien auf der Welt und insbesondere im Westen nicht wahrheitsgetreu dargestellt. Anstatt ihre Solidarität zu bekunden und mit allen möglichen Mitteln die Aufrechterhaltung der demokratischen Grundordnung zu beschützen, konzentrierten sie sich darauf der Türkei das Gegenteil zu unterstellen. Die Frage die sich jeder hier stellen sollte ist, wieso sich die meisten Medien entschieden auf grundlose Argumente zu stützen und ihre eigenen Werte somit sprichwörtlich zu verraten und der Türkei in einer derartigen Krise nicht das Hand zu reichen vermochten.

Abgesehen von den unzähligen Totschlagargumenten und festgefrorenen Vorurteilen gegenüber Massenmedien möchte ich mögliche Gründe für die Doppelmoral der westlichen Berichterstattung, mit diesem Artikel begrenzt auf deutschsprachige Medien, über den 15. Juli berichten.

Obwohl der leitende Berater des Armeestabschefs Akars Levent Türkkan bei seinem Verhör bei der Staatsanwaltschaft aussagte, dass dieser Putsch von Generalen und Soldaten der Gülen Bewegung ausgeführt wurde, werden von deutschen Medien mehrheitlich die Geschehnisse als ein Versuch von friedlichen und unabhängigen Soldaten die gegen die Regierung und den Staatspräsidenten revoltierten um die Demokratie wiederherzustellen berichtet. Türkkan nannte mehrere Namen von Generalen verschiedenen Ranges die Teile dieses Versuches waren und enge Mitglieder der Gülen Bewegung sind. Überdies werden die 246 Toten, 179 Zivilisten, die durch Angriffe der Putschisten umgekommen sind und der Millionen Demonstranten die ihre Leben aufs Spiel setzen um diesen Putsch zu verhindern, so gut wie gar nicht berichtet. Eher befasst man sich damit den Staatspräsidenten Erdogan als den „wahren Putschisten" zu verleumden. Das Onlineportal des Fernsehkanals N-tv bezeichnet am 19. Juli Erdoğan als den „wahren Putschisten".

Der Regierung und den Präsidenten werden unterstellt sie stünden hinter dem Putschversuch um ihre Legitimität zu befestigen und jede Art politischer Opposition zu unterdrücken. Dies zeugt von einer klaren Entscheidung seitens der Medien sich nicht an wahrheitsgetreue Berichterstattung zu halten, als einfaches Beispiel sei die gemeinsame Erklärung aller vier Parlamentsparteien zu nennen die den Putschversuch stehen und von einer Zusammenarbeit im Kampf gegen Putschisten deklarieren, genau wie die hunderttausenden nicht AK-Partei Anhänger die gegen die Putschisten demonstrieren.



Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt am 18. Juli von einem „Krieg" zwischen Fethullah Gülen und dem Staatspräsidenten Erdoğan. Der Putschversuch wird auf eine angebliche paranoide Angst Erdoğans gegenüber Gülen und seiner Bewegung denunziert. Die Gülen Bewegung wird als eine Gruppe dargestellt, die moderne Wissenschaft der Religion bevorzugt wobei dem Staatspräsidenten vorgeworfen wird er nütze Moscheen für seine politischen Zwecke aus. Kurzgefasst wird kein Wort über die Massaker an hunderten toten Zivilisten und der Zerstörung der Putschisten am 15. ausgesprochen. Der Artikel ist darauf bedacht mit allen Mitteln die Behauptung, dass Erdoğan versessen darauf seiner Rache am Philanthropen Gülen zu nehmen, so gut wie möglich glaubhaft darzustellen.

Die ZEIT veröffentliche einen Artikel mit dem Titel „Wer hat hier gesagt?" und verwendete ein Bild wo Waffen und Klamotten von Soldaten sowie Panzer auf der Bosporus-Brücke zu sehen ist. Das Bild erinnert an Europäische Soldaten die während des 1. Weltkriegs gefallen sind. Der Artikel verfolgt einen Zeitstrahl von 2002 bis heute und versucht den Putschversuch durch Ungerechtigkeiten der Regierungen zu legitimieren, die Behauptungen basieren wieder mal auf Lügen und Halbwahrheiten. Als Beispiel der Ungerechtigkeit seitens Erdoğans nenne man er habe „Frauen gezwungen das Kopftuch zu tragen", wobei die Liberalisierung des Kopftuchs an Universitäten die einzige politische Agenda Erdoğans und der AK Partei Regierungen war. Obendrein wird die Türkei als ein Musterbeispiel dargestellt für wie Staaten die Demokratie absetzen würden und all diejenigen die den Wahlsieg Erdoğans im Jahre 2002 gefeiert haben und dies nicht bereuen werden als „herzlos" bezeichnet.

Spiegel Online veröffentliche einen Artikel der Überschrift „Türkei: Tod einer Demokratie". Indem man diesen Artikel liest würde manch einer meinen, dass der Militärputsch erfolgreich gewesen sei.

Wenngleich der Staatspräsident dafür beschuldigt wird einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt zu haben, wird hierbei nicht beachtet, dass die Türkei eines der Länder ist welches von unzähligen grausamen Terrorgruppen wie die PKK, der Partei der Demokratischen Union (PYD), DAESH und der Gülen Bewegung, welche den Staat seit den 1970ern unterwandert, bedroht wird. Trotzdem wurde der Ausnahmezustand als eine Verletzung der demokratischen Grundordnung und als ein Werkzeug der Aufhebung dieser Ordnung dargestellt. Jedem ist die Wichtigkeit der Titelseite des Spiegels für die deutsche Medienlandschaft bekannt. „Es war einmal eine Demokratie" ist der Titel und die Flagge der Türkei wird umzäunt gezeigt. Offenkundig ist, dass diese Redewendung verwendet wird, wenn man anfängt ein Märchen oder ein Geschehnis, welches so weit zurückliegt, dass man sich nicht mehr an das Datum erinnern kann. In anderen Worten suggeriert die Zeitschrift, dass die Demokratie vor langer Zeit aufgehoben wurde und der Präsident das größte Hindernis für seine Widerherstellung darstellt.

Massenmedien und ihre Eigenschaften

Manche mögen argumentieren, dass die Sprache basierend auf Halbwahrheiten und Othering im Westen ihre Wurzeln in der Türkenfeindlichkeit und des Orientalismus habe. Auch wenn dies nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, sind spezifische Gründe vorhanden, die diese Art von Berichterstattung exakter Erläutern.

Durch die Durchsetzung der Unterstellung der AK Partei Regierungen und insbesondere Erdoğans als despotische und ungerechte Herrscher, schafften sich die Medien einen Bereich der Berichterstattung, in denen sie keine Verantwortung für wahrheitsgetreuen Journalismus übernehmen müssen.

Nachdem man dieses negative Bild erfolgreich durchgesetzt hat, sind alle Behauptungen die mit diesem Bild übereinstimmen, seien sie auch absurd und frei erfunden, von ihren Abnehmern ohne Zögern akzeptiert. Aufgrund dessen ist jede Aussage, die dieses Bild in Frage stellt, als Faktenverdrehung gebrandmarkt.

Hinzu kommt, dass Massenmedien jede Art von schockierenden und mitreißenden Nachrichten brauchen um die Medienlandschaft beschäftigen zu können. Hierbei wird auf die Strategie zurückgegriffen, indem man Länder, mit denen man nicht in engster Verbundenheit steht, in ein schlechtes Bild darstellt sodass die eigene Bevölkerung das eigene Land zu schätzen wisse und ihrer Überlegenheit bewusstwerde. Als einfaches Beispiel nenne man die Verhängung des Ausnahmezustandes in Frankreich, welches seit mehr als sechs Monaten andauert und von der deutschen Medienlandschaft nicht als Beginn des Endes der Demokratie in Frankreich bezeichnete wurde, obwohl die Terrorgefahr in der Türkei viel höher ist, was vorherige dutzende Anschläge belegen.

Weiterhin wird durch die Fokussierung auf Krisen im weit entfernten Ausland die Konzentrierung auf internale Probleme abgelenkt. Als beste Beispiel hierfür sah man an der Titelseite der Süddeutschen Zeitung, die dem Amoklauf in München nur zweitrangige Wichtigkeit zumisst und das Bild von Erdoğan mit der Titelüberschrift „Angst und Macht" druckte. Beim Amoklauf mit rechtsradikalem Hintergrund wurden 12 Zivilisten, sechs davon Muslime, ermordet.

Zeitschriften von verschieden Spektren haben Erdoğan auf ihrer Titelseite abgebildet. Die Süddeutsche Zeitung machte noch Tage nach dem Putschversuch davon Gebrauch anstatt dem Amoklauf in München diese Ehre zu erweisen.

Die deutsche Medienlandschaft verfolgt diesen Diskurs, welcher auf konstruierten Erscheinungsbildern basiert, um ihre eigenen Interessen zu vertreten. Jedoch verzichten sie mit dieser Entscheidung auf investigativem Journalismus, wahrheitsgetreue Berichterstattung und einem demokratischen Standpunkt. Ohne Zweifel bekommen sie das Sprachrohr der Putschisten und der Gülenistischen Terrorgruppe (FETÖ), welches bis dato die größte Bedrohung für die Demokratie in der Türkei geworden ist. Sie werden Teil eines Prozesses, dessen sie doch selber zu kritisieren behaupteten.

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