Kinderarmut in Deutschland steigt trotz guter Konjunktur

AFP
GÜTERSLOH
Veröffentlicht 12.09.2016 00:00
Aktualisiert 12.09.2016 15:46
DPA

Die Kinderarmut in Deutschland ist trotz der guten Konjunktur gestiegen. Im vergangenen Jahr waren einer am Montag veröffentlichten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge im Bundesdurchschnitt 14,7 Prozent der unter 18-Jährigen auf Hartz IV angewiesen - im Jahr 2011 waren es noch 14,3 Prozent. Sozialverbände sprachen von alarmierenden Zahlen und forderten eine Anhebung des Kinderregelsatzes. Auch die Opposition dringt auf eine wirksamere Bekämpfung der Kinderarmut.

Insgesamt fast zwei Millionen Kinder wachsen der Studie zufolge in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leben. Von allen betroffenen Minderjährigen lebten dabei 50 Prozent bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern sowie 36 Prozent in Familien mit drei oder mehr Kindern.

Das Risiko, in Armut aufzuwachsen, ist aber auch regional sehr unterschiedlich. In Ostdeutschland sank die Quote der von Armut betroffenen Kinder von 2011 bis 2015 zwar von 24 Prozent auf 21,6 Prozent. Sie ist aber immer noch vergleichsweise hoch. Im Westen erhöhte sich der Anteil indes von 12,4 Prozent auf 13,2 Prozent.

In neun von 16 Bundesländern stieg der Anteil von Kindern in staatlicher Grundsicherung - am stärksten in Bremen (plus 2,8 Prozentpunkte), im Saarland (plus 2,6) und in Nordrhein-Westfalen (plus 1,6). Auch in den Bundesländern mit den niedrigsten Quoten wuchs die Kinderarmut, so in Bayern (plus 0,4 Prozentpunkte) und Baden-Württemberg (plus 0,5).

Die höchsten Hartz-IV-Quoten bei den unter 18-Jährigen gab es in Städten. Besonders hoch waren die Anteile in Bremerhaven (40,5 Prozent), Gelsenkirchen (38,5 Prozent) und Offenbach (34,5 Prozent), aber auch in Berlin (32,2 Prozent).

"Kinderarmut beeinträchtigt die Chancen für das ganze Leben", mahnte Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Der Staat habe dabei eine besondere Verantwortung. Die Existenzsicherung müsse sich daran orientieren, "was Kinder für gutes Aufwachsen und Teilhabe brauchen", forderte Dräger.

Das Deutsche Kinderhilfswerk sprach von einem "erneuten Weckruf" an die Bundesregierung. Die Tatsache, dass trotz guter Konjunktur die Kinderarmut "auf einem skandalös hohen Niveau verharrt", offenbare ein strukturelles Problem, kritisierte Präsident Thomas Krüger.

Die Diakonie nannte die Kinderarmut in Deutschland "alarmierend". Bisher habe es die Politik nicht geschafft, die Situation armer Familien wirklich zu verbessern. Der kirchliche Sozialverband forderte die Anhebung des Kinderregelsatzes, der den Lebensunterhalt sicherstellen soll. Ähnlich argumentierte die AWO.

Auch die Opposition warf der Regierung Untätigkeit vor, "Es ist ein Skandal, dass so viele Kinder in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen müssen", erklärte die stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sabine Zimmermann.

Linke wie Grüne fordern eine eigenständige Kindergrundsicherung. "Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, die das Existenzminimum von Kindern garantiert und die Familien mit unteren und mittleren Einkommen entlastet", sagte der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn, der Nachrichtenagentur AFP. Die Bundesregierung vernachlässige dieses Thema völlig.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte die Regierung auf, den gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden konzipierten Aktionsplan zur Unterstützung von Hartz-IV-Familien umzusetzen. Dafür seien 280 Millionen Euro jährlich vorgesehen.

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