UETD-Vizevorsitzende Filiz İşler: In Deutschland herrscht ein institutioneller Rassismus

KAAN ELBIR @kaanelbir
ISTANBUL
Veröffentlicht 18.07.2017 00:00
Aktualisiert 18.07.2017 13:30
UETD-Vizevorsitzende Filiz İşler: In Deutschland herrscht ein institutioneller Rassismus

Seit Jahren wird in den westlichen Medien kritisch über türkische Frauen berichtet. Die Berichterstattung suggeriert des Öfteren, dass Frauen in der türkischen Gesellschaft und Politik keine Bedeutung hätten. Sie werden zu Ehefrauen reduziert und so dargestellt, als gäbe es, vor allem in den konservativen türkischen Familien, keine Meinungs- und Redefreiheit für das weibliche Geschlecht.

Was für eine Rolle Frauen in der türkischen Gemeinde spielen und welche Verantwortung sie tragen, haben wir in einem Exklusivinterview mit Filiz İşler besprechen können. Sie ist Vizevorsitzende der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten"(UETD).

Nicht nur die Rolle der Frau in der Politik, sondern auch die aktuellen politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland waren Kernpunkte unseres Gespräches. Die Fragen drehten sich um die Auftrittsverbote für türkische Politiker, den İncirlik-Abzug oder die Aktivitäten der Terrororganisationen in Deutschland.

Daily Sabah: Sehr geehrte Frau İşler, Sie sind mit elf Jahren zusammen mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert und leben hier nun schon seit über 30 Jahren. Fühlen Sie sich in Deutschland zu Hause?

Filiz İşler: Ich fühle mich sowohl in Deutschland als auch in der Türkei zu Hause. Auch wenn es mir manchmal von manchen Kreisen schwer gemacht wird, mich hier heimisch zu fühlen, insbesondere von Rechtsradikalen und Muslimfeinden - aber seit dem 11. September auch immer mehr von den Volksparteien. Denn Studien belegen, dass Ausländerfeindlichkeit und Islamhass immer weiter in die Mitte der Gesellschaft wandern. Dies spürt man im alltäglichen Leben immer mehr. Aber diesen menschenverachtenden Feinden der Demokratie werde ich erst Recht sagen: Deutschland ist auch mein zu Hause!

D.S.: Sie sind seit Jahren in der deutschen Politik aktiv und auch für ihre Nähe zur AK-Partei bekannt. Worauf fußt ihre Sympathie für die Türkische Regierungspartei?

F.İ.: Die AK-Partei spricht mich deshalb an, weil sie eine klassische Volkspartei der Mitte ist, so wie die CDU und SPD. Sie spricht alle Schichten, alle Milieus, alle Ethnien, alle Geschlechter, alle Religionen, kurz: alle Menschen, die in der Türkei leben, gleichermaßen an.

Die AK-Partei ist ein Geschenk für die Türkei, da die Jahre ohne die AK-Partei verlorene Jahre waren. Koalitionsstreitigkeiten, Blockadepolitik, Korruption, Stillstand gehören, seitdem es die AK-Partei gibt, im Großen und Ganzen der Vergangenheit an. Die AK-Partei steht für eine starke Wirtschaft, moderne Infrastruktur und den Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates. Mit der AK-Partei geht es der Türkei besser als in der Vergangenheit. Man ist die 16. Wirtschaftsmacht der Welt. Und mit der AK-Partei, die sich Ziele für 2023 und 2053 gesetzt hat, wird auch die Zukunft der Türkei positiv ausfallen. Ziel ist es, zu den zehn größten Wirtschaftsnationen der Welt zu gehören – das begeistert auch viele Deutschtürken.

Ich bin seit Jahren Mitglied der SPD und für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, gleichzeitig ein enges Verhältnis zur der AK-Partei zu pflegen, auch wenn ich dafür kritisiert werde. Viele hochrangige, türkeistämmige Mitglieder der etablierten Parteien, wie die Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir, Sevim Dağdelen oder Cansel Kıziıtepe, sympathisieren, solidarisieren sich und werben ganz offen für die PKK-nahe, linksgerichtete „Demokratische Partei der Völker" (HDP) oder die „Republikanische Volkspartei" (CHP), ohne dafür kritisiert zu werden. Ich appelliere diese Doppelmoral zu beenden.

Es waren politische und wirtschaftliche Themen gewesen, die mich in die Nähe der AK-Partei bewegt haben. Mit der Regierungsübernahme der AK-Partei im Jahre 2002 unter Erdoğan, wurden weitreichende Reformen zur Demokratisierung der Türkei umgesetzt, so wie die politische Einschränkung der Rolle des Militärs, die Stärkung der Menschenrechte, die Anerkennung und den Schutz von Minderheiten, und die Bemühungen zur Lösung der Kurdenfrage.

Sie hat die Annäherung der Türkei an die EU vorangetrieben, die zum Start der offiziellen Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 führte. Die AK-Partei bescherte der Türkei einen rasanten Wirtschaftsaufschwung und ein neues Selbstbewusstsein. Auch die im Ausland lebenden Türken profitierten von vielen Erleichterungen und Änderungen in der Gesetzgebung der neuen Türkei, daher rührt auch ihre große Zustimmung für die AK-Partei und den Staatspräsidenten Erdoğan.

D.S.: Tritt man ihnen als weibliche Politikerin mit Respekt entgegen oder würden Sie türkischen Frauen eher davon abraten in die Politik zu gehen?

F.İ.: Dass Frauen in der Politik nicht genügend vertreten sind ist ein internationales Problem.

Die südlichen und südöstlichen Regionen der Türkei sind traditionell patriarchalisch strukturiert, keine Frage. Dennoch muss man auch sehen, dass die Frau in der türkischen Gesellschaft eine ausgeprägte Stellung in der Öffentlichkeit besitzt. Dass haben wir nicht zuletzt dem Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zu verdanken. Der öffentliche Dienst, aber auch der Privatsektor in der Türkei, besitzen eine Vorreiterrolle, wenn es um den Anteil der Frauen geht.

Das Wahlrecht für Frauen beispielsweise, gab es in der Türkei schon viele Jahre früher als in manch anderen europäischen Staaten.

Ich möchte nicht verheimlichen, dass Frauen nach wie vor in allen Bereichen deutlich unterrepräsentiert sind - übrigens auch in deutschen Institutionen.

Daher ermuntere ich Frauen auch immer wieder in die Politik zu gehen, um ihre Rechte zu vertreten, sich an der Gesellschaft zu beteiligen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Nicht zugucken, sondern teilhaben und mithandeln!

D.S.: Was beabsichtigt die UETD? Fühlen Sie sich als einen „europäischen Arm der AK-Partei"? So werden sie in der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls dargestellt.

F.İ.: Es ist falsch die UETD als einen europäischen Arm der AK-Partei darzustellen. Die Mehrheit unserer Mitglieder und Sympathisanten solidarisieren sich offen mit der AK-Partei. So wie die „Konrad Adenauer Stiftung" sehr eng mit der CDU oder die „Friedrich-EbertStiftung" mit der SPD kommuniziert, so kommuniziert die UETD auch mit der AK-Partei.

Mit unserem Wissen beraten wir die Politik. Wir diskutieren auf diversen Veranstaltungen, Tagungen und Foren mit Fachleuten über wichtige politische Themen zwischen Deutschland und der Türkei. Wir verstehen uns als ein Bindeglied und Brückenbauer zwischen der deutschen und türkischen Politik. Wir wollen auf beiden Seiten beratend zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen tätig werden sowie für ein besseres Verständnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der türkischen Community sorgen. Das ist unser Angebot für die hiesige Gesellschaft, für die Kommunen, Gemeinden und die Bundesländer sowie auch für das politische Berlin.

Wir haben zwar gute Kontakte zur AK-Partei, jedoch fühlen wir uns auch anderen Parteien in der Türkei nahe und sind daher für jegliche Kooperationen offen. Auch zu deutschen Parteien und parteinahen Stiftungen haben wir Beziehungen - ohne dass wir deren verlängerter Arm wären.

D.S.: Werden Sie als eine türkisch-deutsche Vereinigung in Deutschland fair behandelt oder erleben Sie auch Diskriminierungen?

F.İ.: Wenn man sich die Medien anschaut, ist man schon verblüfft über die einseitige Berichterstattung. Da wünschte ich mir schon etwas mehr Vielfalt. Aufgrund der allgemein negativen Berichterstattung über die türkische Regierung in den letzten Monaten, wird im Zuge dessen auch kaum positiv und ausgewogen über die UETD berichtet. Da gehen die Journalisten leider unprofessionell mit ihrer Tätigkeit um. Voreingenommenheit, Vorverurteilungen und wertende Berichterstattung gehören da leider zum Alltag.

Auf türkischer Seite sind wir als kompetenter Partner angesehen und kooperieren sehr gut miteinander. Von deutscher Seite vermissen wir eine ähnlich erfolgreiche Zusammenarbeit. Ich hoffe, in naher Zukunft auch sehr eng mit der deutschen Politik zusammenarbeiten zu können.

Ohne die UETD in politische Prozesse einzubinden, kann von einer Verbesserung der Situation der Deutschtürken in Deutschland nicht die Rede sein. Wir werden von der Bundesregierung und von allen Landesregierungen ignoriert und erhalten keine Einladung zu wichtigen politischen oder gesellschaftlichen Kundgebungen. Wir wollen die Kooperation, werden derzeit aber leider ausgegrenzt. Unsere Hand bleibt jedoch immer freundlich ausgestreckt, egal ob man auf uns zukommt oder nicht.

D.S.: Was sagen Sie zu den Auftrittsverboten türkischer Politiker in Deutschland oder in Europa allgemein? Dies war ja in der Referendums-Zeit der Fall und auch im Vorfeld des vergangenen G20-Gipfels gab es ähnliche Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wollte eigentlich die Gelegenheit nutzen, um mit den türkischen Bürgern zusammenkommen.

F.İ.: In Deutschland gab es dieses Jahr drei Landtagswahlen und im September gibt es die Bundestagswahl. Der Dauerwahlkampf überhitzt die Emotionen in der deutschen Politik. Dies schadet leider den bilateralen Beziehungen.

Die Auftrittsverbote für die türkischen Politiker von deutscher und teilweise europäischer Seite sind nicht nachvollziehbar - unakzeptabel, anti-demokratisch und haben massiv das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei beeinträchtigt. Auch das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken in Deutschland ist belastet worden. Ein demokratisch gewählter Präsident hat das Recht mit seinen Landsleuten zusammenzukommen, auch wenn das derzeit Vielen in Deutschland schwer fällt. Bei jeder Gelegenheit setzt sich die EU für Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten ein, auf der anderen Seite wird dem Präsident Erdoğan aus innenpolitischen Erwägungen heraus der Auftritt verwehrt.

Das Verbot ist das konkreteste Beispiel für das zweierlei Maß, das derzeit in Europa gemessen wird.

D.S.: Was sagen Sie zu den Ausschreitungen in Hamburg? Glauben Sie, dass die Polizei zu hart auf die Demonstranten losging?

F.İ.: Über das Gewaltpotenzial der linksextremen Szene bin ich eigentlich nicht überrascht. Diese linksextremen Szenen haben wir in Istanbul und vielen anderen türkischen Städten, so wie man es auch bei den Gezi-Protesten gesehen hat - auch in Berlin in der Rigaer Straße und natürlich am 1. Mai. Mit Bedauern konnten wir sehen, wie Hamburg - für mich die schönste Stadt Deutschlands - weltweit in negativen Schlagzeilen stand - mit brennenden Autos, geplünderten Supermärkten, fliegende Steinen und einer Hetzjagd auf die Polizisten. Das Ergebnis waren zerstörte Stadtviertel. Ein großes Lob an die Polizei, sie hat am Rande der Mega-Veranstaltung G20 die Lage weitgehend unter Kontrolle gehabt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten, egal welcher Couleur, unsere Freiheit und unsere Demokratie gefährden und unsere Städte zerstören. Nicht nur in Hamburg, auch in Istanbul, Brüssel oder Paris. Leider gibt es noch Parteien im Bundestag, die sich nicht deutlich genug von der Gewalt der Linksextremisten distanzieren.

Die Berichterstattung, besonders die der öffentlich-rechtlichen Medien, muss man mittlerweile leider mit Vorsicht genießen. Gewalt gehört zu keiner Demonstration, das kann ich unterstreichen. Weder bei den Gezi-Protesten noch in Hamburg oder woanders.

D.S.: Vor kurzem wurden Fahnen und Symbole der Terrororganisation PKK offiziell verboten. Trotzdem konnten PKK-Sympathisanten die G20-Demos für sich nutzen. Während die Polizei gegen andere Demonstranten harsch vorging, eskortierte sie die PKK-Anhänger in den Hamburger Straßen. Wie bewerten Sie die Geschehnisse? Ist das nicht eine deutliche Form der Doppelmoral?

F.İ.: Die PKK wird seit langem sowohl von der deutschen Politik als auch von den Medien oftmals als „Arbeiterpartei" verniedlicht. Die Sympathisanten dieser Terroristen dürfen mit ihren Anführen Liveschaltungen in Stadien abhalten.

Im Gegensatz dazu, durfte der türkische Präsident bei einer Veranstaltung am 31.07.2016 in Köln nicht live sprechen. In gewisser Weise besitzen sogenannte Fachleute und Beobachter schon eine heuchlerische Haltung.

Der vom Bundesinnenminister Thomas de Maizière neu vorgestellte Verfassungsschutzbericht von 2016 lehrt uns, dass Deutschland der Terrororganisation PKK, als Rückzugs-, Rekrutierungs-, und Finanzierungsraum dient. Die PKK ist zwar offiziell verboten, aber in der Praxis mit 14.000 Mitgliedern sehr aktiv. Der syrische Arm der PKK, die PYD, unterhält ein Büro in Berlin.

Immer noch werden bei Demos verbotene Fahnen und Bilder der PKK, so wie zuletzt auch in Hamburg, geschwenkt. Deutschland muss da eigentlich mit einer Nulltoleranz Haltung gegen Terrororganisation wie die PKK vorgehen.

D.S.: Glauben Sie, der Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik wird Deutschlands Kampf gegen Daesh beeinträchtigen?

F.İ.: Ich glaube nicht. Deutschland, die Türkei und weitere NATO-Partner werden den Kampf gegen Daesh erfolgreich fortführen.

Schade, dass es keine Einigung zwischen Deutschland und der Türkei gab. Für beide Seiten gab es nachvollziehbare Gründe für den Abzug der Soldaten, auch aus innenpolitischen Erwägungen heraus. Vor allem die „Grünen" und die „Linke" versucht die Incirlik-Debatte wahltaktisch zu instrumentalisieren. Nun gibt es einen Streitpunkt weniger zwischen Deutschland und der Türkei. Denn dadurch wurden die bilateralen Beziehungen stark belastet. Ich glaube nicht, dass der Kampf gegen Daesh dadurch beeinträchtigt wird.

D.S.: Glauben Sie, dass sich die deutsch-türkischen Beziehungen in naher Zukunft verbessern werden?

F.İ.: Deutschland und die Türkei sind wichtige Partner. Doch an Problemen zwischen Berlin und Ankara mangelt es seit geraumer Zeit nicht wirklich. Eine leichte Verbesserung der Beziehungen erwarte ich erst nach der Bundestagswahl. Es wird noch eine Weile dauern bis die Beziehungen sich normalisieren. Es gibt immer noch viele Streitpunkte, die das deutsch-türkische Verhältnis belasten, wie beispielsweise der Fall Deniz Yücel, die Asylgewährung an ranghohe Militärs, die am gescheiterten Militärputsch beteiligt waren oder die Armenien-Resolution.

Alles andere würde den Interessen der Staaten schaden - und natürlich den Deutschen in der Türkei sowie den Türken in Deutschland.

Die Jahrhundertealte Partnerschaft, ja sogar Freundschaft zwischen Türken und Deutschen, ist zu essenziell, um für Wahlkampfdebatten, Rufmordkampagnen und sinnlose Diskussionen missbraucht zu werden.

D.S.: Spüren Sie oder andere Mitglieder ihrer Gemeinde, Anfeindungen in der Gesellschaft? Wie ist der Umgang in Schulen, Universitäten oder auf der Arbeit?

F.İ.: Leider erhalten wir verstärkt Beschwerden über Anfeindungen, die von Beschimpfungen bis hin zur Körperverletzungen reichen. Das Vertrauen der Deutschtürken in den Staat ist seit den NSU-Morden erschüttert. Viele Menschen sind in Deutschland einem Alltagsrassismus ausgesetzt – in der Schule, am Arbeitsplatz, im Bus oder auf der Straße. Wir haben in Deutschland leider einen institutionellen Rassismus, der nicht zu leugnen ist, der auch vom Amnesty International und zahlreichen Menschenrechtsgremien wie die „Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" (ECRI) oder dem „UN-Ausschuss gegen Rassismus" (CERD), attestiert wird.

D.S.: Jüngst wurde die Debatte um die „Leitkultur" durch den deutschen Innenminister de Maizière neu entfacht, er hat dafür auch viel Kritik geerntet. Man warf ihm vor, Wahlkampf zu betreiben. Was ist Ihre Meinung dazu?

F.İ.: Ich schätze den Innenminister de Maiziere, jedoch hat mich sein Vorschlag mit der deutschen Leitkultur, unter dem Motto „Wir sind nicht Burka", irritiert. Die Debatte ist unnötig und hilft keinem. Unsere Leitkultur ist das Grundgesetz, das als Wertekanon ausreicht und für jeden bindend ist. Es reicht die geltenden Gesetze einzuhalten. Eine einheitliche deutsche Leitkultur zu propagieren wird die Menschen nicht zusammenschweißen, sondern eher spalten. Wer was anzieht oder nicht anzieht, welche Musik er hört, das alles ist jedem selbst überlassen.

Im Übrigen empfehle ich zu dem Thema eine sehr interessante Einschätzung und Analyse von dem Politologen Yasin Baş. Er erläutert auf interessanter Weise, wie die Leitkultur zu verstehen ist.

D.S.: Was sagen Sie zu dem steigenden Rechtspopulismus in Europa?

F.İ.: Das ist eine Krankheit, die uns nicht nur kurz-, sondern auch mittel- und langfristig in Gefahr bringen kann. Wir müssen aus der Geschichte lernen. Ich sehe im Moment Parallelen zur Weimarer Republik oder zu der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der extreme Nationalismus, der Antisemitismus – so wie heute die Islamfeindlichkeit - und die wachsende Armut, die sogenannte „Schere zwischen Arm und Reich", machen die Lage brenzlig.

Ob AfD, Front National, PVV, UKIP, Lega Nord oder FPÖ, von Skandinavien bis in den Süden Europas, finden rechtspopulistische Parteien europaweit steigende Zustimmung in der Bevölkerung und etablieren sich zunehmend in den nationalen Parlamenten. Sie sind rassistisch motiviert, sind gegen Einwanderung und antieuropäisch sowie islamophob eingestellt. Sie gefährden die Demokratie und das friedliche Zusammenleben in Europa. Der Rechtspopulismus muss konsequent bekämpft werden. Dafür muss die hiesige Gesellschaft aktiver werden. Wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder Bekleidung angegriffen werden, wenn gegen Flüchtlinge und Fremde gehetzt wird oder religiöse Orte geschändet werden, darf man das nicht hinnehmen.

Die Mehrheit darf nicht passiv bleiben und damit einer lautstarken und aggressiven Minderheit das Feld überlassen.

D.S.: Haben sie noch eine letzte Botschaft für die deutsch-türkische Community?

F.İ.: Wir verzeichnen noch Defizite bei der gesellschaftlichen und politischen Partizipation der türkischen Community. Daher appelliere ich, sich verstärkt für das Gemeinwohl einzusetzen. Bringt Euch in etablierten Parteien ein, übernimmt Verantwortung in der Nachbarschaft, in den Sportvereinen, bei Elternvereinen oder in der Gewerkschaft - für ein besseres Miteinander. Wir sind ein Teil Deutschlands und ein Teil Europas.

Die Ausgrenzung und Diskriminierung in vielen Bereichen des gesellschaftlichen, beruflichen und politisch-kulturellen Lebens können eine Gemeinschaftskultur und Gemeinschaftsidentität in Deutschland behindern. Deshalb müssen wir Alle dagegen anstehen.

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