Kanzlerin Merkel in Sachsen gefeiert und ausgebuht

DPA
DRESDEN
Veröffentlicht 16.07.2019 09:46
AFP

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich bei einem Besuch in Sachsen am Montag in bester Verfassung präsentiert. Für ein paar Stunden besuchte sie am Nachmittag zunächst den Standort von Siemens in Görlitz und reiste dann nach Dresden weiter.

Die Kanzlerin besichtigte im Beisein von Siemens-Chef Joe Kaeser und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mehrere Stationen der Dampfturbinen-Fertigung. Gut gelaunt und sichtlich entspannt fragte Merkel immer wieder nach Details.

Ein paar Stunden später wurde Merkel von Anhängern des islamfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden allerdings ausgepfiffen und ausgebuht. Etwa 50 Leute schrien «Hau ab» und «Merkel muss weg» - Slogans, die Pegida-Demonstranten immer wieder bei Auftritten der Kanzlerin benutzen. Pegida-Anführer Lutz Bachmann hatte dafür eigens eine Spontandemonstration in der Nähe des Albertinums angemeldet, wo Merkel am Abend Ehrengast eines Netzwerktreffens von Frauen war. Pegida läuft montags regelmäßig durch die Elbestadt und macht Stimmung gegen Flüchtlinge und die Regierenden in Deutschland. Merkel stieg unbeeindruckt davon aus dem Auto - und wurde kurz darauf von 500 Frauen begeistert empfangen.

Über den Gesundheitszustand der Kanzlerin war seit Wochen spekuliert worden, nachdem sie bei drei öffentlichen Auftritten im Stehen stark gezittert hatte. Die Begrüßung der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit militärischen Ehren absolvierte sie zuletzt teilweise im Sitzen. Beide Frauen nahmen bei dem Treffen vergangene Woche während der Nationalhymnen auf Stühlen Platz - ein einmaliger Vorgang. Bei der Militärparade zum französischen Nationalfeiertag in Paris am Sonntag, bei der Merkel lange stehen musste, zitterte sie nicht. In Görlitz und Dresden war ihr ebenfalls kein Zeichen von Schwäche anzumerken.

In Görlitz war die Stimmung positiv, gemäß guter Nachrichten von Siemens. Der Konzern will mit dem Land Sachsen und der Fraunhofer-Gesellschaft auf seinem Görlitzer Werksgelände einen Innovationscampus entwickeln. High-Tech-Firmen, Start-ups und Forschungsinstitute sollen sich dort ansiedeln und damit Investitionen von etwa 30 Millionen Euro sowie 100 neue Jobs verbunden sein. So soll auch ein Labor entstehen, in dem Siemens und Fraunhofer die Wasserstoffforschung vorantreiben wollen.

Nach den Worten von Siemens-Chef Kaeser geht es darum, sich auf die Zeit nach der Kohle vorzubereiten. Man habe viel über Strukturwandel gesprochen worden, jetzt sei es an der Zeit, zu handeln: «Wir haben keinen Planeten B», sagte der Manager. Der «grüne Wasserstoff» biete enorme Möglichkeiten. Einen Seitenhieb auf die AfD gab es auch: Die Investition sei ein Signal an diejenigen, «die Ängste und Sorgen der Menschen für ihre Zielen nutzen», sagte Kaeser. Mit der Investition schaffe man «wirkliche Alternativen» für Görlitz und Ostsachsen. Görlitz liegt in der Nähe des Lausitzer Braunkohlereviers, das vom geplanten Kohleausstieg betroffen ist.

Merkel lobte das Engagement für den Standort Görlitz und zeigte sich von dem dort gefertigten Produkt fasziniert. Solche Präzisionsturbinen ließen ein «Physikerherz» höher schlagen, sagte sie. Wichtig sei, dass aus der Industrieregion eine Innovationsregion werde. Mit der Forschung zur Wasserstofftechnologie sei dafür ein Grundstein gelegt. Der Bund werde das begleiten.

Mitten in Merkels Besuch platzte die Rücktrittsankündigung ihrer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Merkel zollte ihr Respekt. Von der Leyen habe sich für eine neue Etappe entschieden und wolle mit ganzer Kraft dafür eintreten, Kommissionspräsidentin in Brüssel zu werden: «Das freut mich. So kenne ich sie auch. Und dann werden wir alles Weitere sehen.»

Sichtlich wohl fühlte sich Merkel dann am Abend im Innenhof des Dresdner Albertinums. Bei einem Frauennetzwerktreffen plädierte sie dafür, dass Frauen und Männer in allen Lebensbereichen gleichmäßig vertreten sein sollen. «Unser Ziel muss Parität an allen Stellen sein», sagte sie. Mit Frauen kämen andere Themen ins Gespräch wie Pflege, Familie, Ernährung oder Homöopathie. Auch in der Politik könne nicht mehr gewartet werden, bis sich Frauen «hochgedient» haben. «Das ist auch für die CDU noch ein Riesenproblem.»

Die Bundeskanzlerin warb auch für mehr Debattenkultur. «Wir dürfen nicht verlernen, uns über verschiedene Meinungen auszutauschen.» Der Kompromiss sei dabei das «Allerwichtigste», er müsse am Ende akzeptiert werden. Mit mächtig sächsischer Frauenpower im Ohr rauschte sie nach gut anderthalb Stunden davon - an den nölenden alten Männern von Pegida vorbei.

Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen