Entsetzen nach Wahl von NPD-Politiker zum Ortsvorsteher

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ALTENSTADT
Veröffentlicht 08.09.2019 15:33
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Der Ortsbeirat einer hessischen Gemeinde hat einen Funktionär der rechtsextremen NPD einstimmig zum Ortsvorsteher gewählt.

Alle sieben anwesenden Ortsbeiratsmitglieder von Altenstadt-Waldsiedlung, darunter Vertreter von CDU, SPD und FDP, wählten am Donnerstagabend den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Stefan Jagsch zum Vorsteher, wie die regionalen Verbände von CDU und SPD am Wochenende bestätigten. Von hessischen Politikern, aber auch aus der Bundespolitik in Berlin kamen entsetzte Reaktionen.

Zwei Abgeordnete von SPD und CDU waren bei der Abstimmung nicht anwesend. Nach einem Bericht der Zeitung «Kreis-Anzeiger» gab es keinen anderen Kandidaten. Der bisherige Ortsvorsteher war für die FDP angetreten und hatte bereits im Juni seinen Rücktritt angekündigt.

Laut Hessischem Rundfunk (hr) war der 33 Jahre alte Jagsch mehrfach im Verfassungsschutzbericht des Landes Hessen namentlich erwähnt worden. Die Gemeinde Altenstadt in Mittelhessen hat etwa 12.000 Einwohner, der Ortsteil Waldsiedlung, dem Jagsch nun vorsteht, 2600. Bei der Kommunalwahl in Altenstadt 2016 hatte die NPD zehn Prozent geholt und lag damit vor der FDP (7 Prozent).

Die Kreisvorsitzende der CDU Wetterau, Lucia Puttrich, und der Vorsitzende der CDU Altenstadt, Sven Müller-Winter, reagierten in einer gemeinsamen Erklärung «mit Entsetzen und absolutem Unverständnis». «Zur einstimmigen Wahl haben leider auch zwei Ortsbeiratsmitglieder beigetragen, die bei der letzten Kommunalwahl über die CDU-Liste als Mitglied und als Nicht-Mitglied in den Ortsbeirat gewählt wurden.»

Die NPD verfolge nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfeindliche Ziele, die Wahl eines Politikers dieser Partei sei «für die CDU unfassbar und untragbar», erklärten Müller-Winter und Puttrich, die auch hessische Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten ist. Die «falsche Entscheidung» müsse korrigiert worden, wozu bereits Gespräche aufgenommen worden seien.

Der CDU-Vertreter Norbert Szielasko, der Jagsch gewählt hatte, sagte dem hr: «Wir sind völlig parteiunabhängig im Ortsbeirat». Er betonte, dass der Posten bereits seit einigen Wochen unbesetzt gewesen sei. Aber warum ist Jagsch gewählt worden? «Da wir keinen anderen haben - vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computer auskennt, der Mails verschicken kann.» Und Szielasko sagte weiter: «Was er in der Partei macht oder privat, dass ist nicht mein Ding, nicht unser Ding.» Im Ortsbeirat verhalte er sich «absolut kollegial und ruhig».

«Völlig fassungslos» zeigte sich die SPD-Vorsitzende im Wetteraukreis, die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl. Die NPD falle auch im Kreistag «immer wieder mit ihrer menschenfeindlichen Hetze» auf, schrieb sie in einer Erklärung. Jetzt müssten alle Konsequenzen geprüft werden.

Auch Bundespolitiker von CDU, SPD und FDP zeigten sich entsetzt. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte gar, die Wahl wieder aufzuheben. «Die SPD hat eine ganz klare Haltung: Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals!», schrieb Klingbeil auf Twitter. «Die Entscheidung in Altenstadt ist unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen. Sie muss sofort rückgängig gemacht werden.»

Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU), zu dessen Wahlkreis der Ort gehört, drohte mit Konsequenzen. «Wem der politische und moralische Kompass fehlt und (wer) als Demokrat eine solch verantwortungslose Wahlentscheidung trifft, ist in der CDU und auf einer CDU-Wahlliste untragbar», twitterte er.

Der Parlamentsgeschäftsführer der FDP im Bundestag, Marco Buschmann, nannte die Wahl in dem Internetdienst «doppelt schlimm: erstens, dass Demokraten so jemanden wählen; zweitens, dass kein demokratischer Kandidat bereit stand, um die Aufgabe zu übernehmen».

Eine Sprecherin des Kreisverbands der Grünen in der Wetterau, Myriam Gellner, sprach am Samstag von einem «Blackout der Demokratie».

Auch die AfD Hessen kritisierte die Wahl: «CDU, SPD und FDP haben in der Wetterau ein Extremismus-Problem», sagte Landessprecher Robert Lambrou. «Im Gegensatz zur CDU, SPD und FDP hat die AfD in Hessen noch nie NPD-Politiker zu Ortsvorstehern gewählt und wird so etwas Extremes auch in Zukunft nicht tun.»

Jagsch war bereits 2016 schon einmal in die Schlagzeilen geraten. Damals war er mit einem Wagen gegen einen Baum gefahren und schwer verletzt worden. Zwei syrische Asylbewerber hatten den Rechtsextremisten daraufhin aus seinem Autowrack gerettet.

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