Brasiliens Präsidentin Rousseff vorläufig abgesetzt

DPA
BRASILIEN
Veröffentlicht 12.05.2016 00:00
Aktualisiert 13.05.2016 11:24
Brasilianer protestieren für die Amtsenthebung von Präsident Dilma Rousseff vor dem brasilianischen National-Kongress in Brasilien, 11. Mai 2016 Foto: Reuters/ Paulo Whitaker
Brasilianer protestieren für die Amtsenthebung von Präsident Dilma Rousseff vor dem brasilianischen National-Kongress in Brasilien, 11. Mai 2016 (Foto: Reuters/ Paulo Whitaker)

Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff muss ihr Amt vorläufig abgeben. Der brasilianische Senat stimmte nach einer rund 20-stündigen Marathonsitzung mit 55 zu 22 Stimmen für eine Suspendierung Rousseffs von zunächst 180 Tagen, um mögliche Amtsverfehlungen der Präsidentin juristisch prüfen zu lassen.

Nötig war eine einfache Mehrheit, es wurde aber eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Der Präsidentin werden eigenmächtige Kreditvergaben und Bilanztricks zur Verschleierung der wahren Haushaltslage vorgeworfen.

Vizepräsident Michel Temer (75) von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), die die Koalition mit der Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt hatte, will noch am Donnerstag das Amt übernehmen. Er will ein Kabinett ohne Beteiligung der seit 2003 regierenden linken Arbeiterpartei bilden. Temer wird nun auch die Olympischen Spiele am 5. August in Rio de Janeiro eröffnen.

Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem «Putsch». Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schließt sie aus. In den 180 Tagen werden die Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs geprüft. Dann müsste der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit über eine endgültige Amtsenthebung entscheiden. Wird das Quorum verfehlt, würde Rousseff wieder das Amt übernehmen.

Erstmals seit 13 Jahren wird zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren wies der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurück. Bisher gibt es 31 Ministerien, Temer will die Zahl deutlich verringern.

Solch ein Amtsenthebungsverfahren gab es in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen suspendiert - und trat schließlich zurück. Er ist heute Senator und verurteilte in der Sitzung die Regierung als katastrophal.

Rousseff, seit 2011 an der Macht, war zuletzt eine Präsidentin ohne Fortune, mitunter aufbrausend, mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öl-Einnahmen. Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff. Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen sind arbeitslos.

Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in São Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar, der Wechselkurs lag bei 1 zu 3,44 US-Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.

Mit umfassenden Reformen will er die kriselnde Wirtschaft ankurbeln, das Bruttoinlandsprodukt der bisher siebtgrößten Volkswirtschaft war 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, für dieses Jahr sieht es nicht besser aus. Der frühere Zentralbank-Chef Henrique Meirelles soll Finanzminister werden, zuletzt waren die Staatsanleihen von den Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden. Umweltschützer befürchten mehr Regenwaldabholzungen. Temer will zum Beispiel den umstrittenen «Sojabaron» Blairo Maggi zum Agrarminister machen.

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