Deutsche Firmen fürchten Exporteinbruch in Großbritannien

REUTERS
BERLIN
Veröffentlicht 07.07.2016 00:00
Aktualisiert 07.07.2016 17:08

Deutsche Unternehmen wollen wegen des britischen Votums für einen EU-Austritt bei Tochterfirmen und Zweigstellen auf der Insel weniger investieren und Stellen streichen. In der ersten großen Umfrage nach der Brexit-Entscheidung unter mehr als 5600 Betrieben, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) am Donnerstag vorlegte, war von deutlich schlechteren Perspektiven für Exporteure die Rede. Der Verband rechnet nun mit einem Rückgang der deutschen Ausfuhren auf die Insel um ein Prozent in diesem Jahr. 2017 dürften es dann minus fünf Prozent sein. Außenhandelspräsident Anton Börner warnte sogar: "Das kann auch noch schlechter werden". Ursprünglich hatte der DIHK 2016 einen Zuwachs von fünf Prozent erwartet.

Für die deutsche Wirtschaft steht einiges auf dem Spiel: Großbritannien ist für sie der drittwichtigste Exportmarkt in der Welt nach den USA und Frankreich. 2015 lieferten deutsche Firmen Waren und Güter im Wert von knapp 90 Milliarden Euro dorthin - vor allem Autos, Maschinen und chemische Produkte. In den vergangenen Jahrzehnten hat die hiesige Wirtschaft mehr als 110 Milliarden Euro in dem scheidenden EU-Land investiert.

Das könnte sich jetzt ändern: "Der Brexit schadet auf Dauer der deutschen Wirtschaft", klagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Die Unsicherheit sei mit Händen zu greifen "und wirkt kurzfristig als Dämpfer für die Konjunktur". Börner pflichtete ihm bei: "Ich sehe eher schwarz für das nächste halbe Jahr", sagte er im Reuters-Interview.

Das Pfund ist nach dem überraschenden Referendum zuletzt auf ein 31-Jahres-Tief gestürzt. "Es ist nie gut für sie, wenn ihre Waren in einem Land über Nacht um zehn bis 15 Prozent teurer werden", beschrieb Börner die Probleme der deutschen Exporteure. Der Außenhandelspräsident sorgt sich auch, dass der Brexit eine neue EU-Krise auslösen könnten. "Das Risiko ist hoch."

Investitionen auf dem Prüfstand

In der DIHK-Umfrage unter Firmen aller Branchen und Größen gaben 35 Prozent an, bei ihren britischen Töchtern und Zweigstellen weniger Investitionen zu planen. Gut ein Viertel denkt dort sogar an Personalabbau. Schon in der Phase der Trennungsverhandlungen mit der Europäischen Union werden die deutschen Exporte nach Einschätzung von 27 Prozent der befragten Firmen sinken. Nach dem Vollzug des EU-Austritts erwarten mehr als die Hälfte niedrigere Exportzahlen. Dagegen beschäftigten sich etliche britische Konzerne, die in Deutschland tätig sind, mit mehr Investitionen und einem Beschäftigungsaufbau auf dem hiesigen Markt.

Die deutschen Unternehmen haben ihre Produktion im Mai, also noch vor dem Brexit-Votum, so stark gedrosselt wie seit fast zwei Jahren nicht mehr. Industrie, Bau- und Energiebranche stellten zusammen 1,3 Prozent weniger her als im April. Produktionsdaten aus der britischen Industrie
belegen, dass auch sie vor dem Referendum an Schwung eingebüßt haben. Im Mai sank die Herstellung um 0,5 Prozent gegenüber dem Vormonat.

Die britische Wirtschaftsleistung war bereits von Januar bis März nur noch um 0,4 Prozent zum Vorquartal gewachsen, nachdem Ende 2015 noch ein Plus von 0,6 Prozent herausgesprungen war. Mit dem Sieg der Brexit-Befürworter haben sich nach Einschätzung von Experten die Aussichten merklich verdüstert. Finanzminister George Osborne befürchtet eine "hausgemachte Rezession". Steuersenkungen und Hilfen der Notenbank in London sollen Schlimmeres verhindern.

Bremsspuren auch in Frankreich

Auch die französische Regierung rechnet mit Einbußen beim Wirtschaftswachstum durch die Brexit-Entscheidung. Haushaltsminister Christian Eckert sprach von einem Dämpfer in der Größenordnung von 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten, ohne jedoch einen genauen Zeitraum zu nennen.

Schlechte Nachrichten kamen auch von Unternehmen. Die größte US-Bank JP Morgan warnte vor dem Verlust Tausender Stellen in Großbritannien, die im Konzern auf andere Niederlassungen auf dem Kontinent verlagert werden könnten. Dies gelte für den Fall, dass britische Banken ihre Produkte künftig nicht mehr generell auch im Rest der EU anbieten dürfen, sagte Vorstandschef Jamie Dimon der italienischen Zeitung "Il Sole 24 Ore". Vier große US-Investmentbanken, darunter auch JP Morgan, bekannten sich zwar zum Finanzstandort London - allerdings ohne konkrete Zusagen zu machen.

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