Deutsche Politik droht der Türkei mit Wirtschaftssanktion – Verlierer ist der kleine Bürger

BURAK ALTUN @burakaltun_DS
ISTANBUL
Veröffentlicht 22.08.2017 00:00
Aktualisiert 23.08.2017 02:19
DPA

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind nun seit längerem belastet, dies sorgt in erster Linie für Unruhe der Wirtschaft – nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Denn zahlreiche deutsche Firmen pflegen seit Jahrzehnten gute Handelsbeziehungen mit ihren türkischen Partnern. Viele dieser Unternehmen sind darüber hinaus auch in der Türkei selbst tätig, haben dort ihre Standorte und erwirtschaften Gewinne - im Gegenzug bekommen zahlreiche türkische Bürger eine gute und sichere Arbeitsstelle. Die Türkei hat die Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen deshalb immer wieder betont und wollte damit verhindern, dass diese zum Spielball bilateraler Probleme gemacht werden. Die Bundesregierung hingegen versucht eben genau mit diesen Mitteln eigene Interessen durchzusetzen – betroffen sind dadurch jedoch nicht die politischen Gegenspieler in der Türkei, sondern in erster Linie die Menschen dort - die Mittel- und Unterschicht, also jene, die auf die Arbeit dort angewiesen sind - die im Notfall nicht auf Millionen Euros auf ihren Konten zurückgreifen können. Dabei geht es nicht nur um die Beschäftigten, sondern auch um die kleineren deutschen Unternehmen, die allein auf Kooperationen mit der türkischen Wirtschaft ausgerichtet sind. Härtere wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei würden für viele dieser kleinen Unternehmen das vorläufige Ende bedeuten.

Die Bundesregierung und Teile der Opposition pochen aktuell auf härtere Maßnahmen, nachdem bereits eine Reisewarnung für die Türkei ausgesprochen wurde. Von der Türkei aus betrachtet erscheint dies – kurz vor den Bundestagswahlen - als ein wahlstrategischer Schachzug. Denn das Meinungsbild ist in den deutschen Medien in weiten Teilen bereits dahingehend gepolt, dass Sanktionen als unumgänglich erscheinen – dies ist auch ein Ergebnis der hoch gespielten Anti-Erdoğan Stimmung, dies sich in irrationalen Handlungen entlädt. Der Öffentlichkeit wird suggeriert, dass Deutschland am längeren Hebel sitzt, bei dessen Betätigung, die eigene Position nicht zerrüttet wird. Damit wird die Tatsache verschwiegen, dass durch jene Maßnahmen, wiedermal der kleine Bürger die Lasten tragen muss. Diese untere Ebene wird oft ausgeblendet. Der Bürger denkt, von möglichen Wirtschaftssanktionen wären lediglich die Menschen dort betroffen - und jene reichen Unternehmen, die sowieso in der Lage wären, solche Rückschläge in finanzieller Hinsicht zu verkraften.

Der eigentlich Widerstand gegen den Kurs der Bundesregierung müsste eigentlich von unten kommen, gegen jene dort oben, die versuchen ihre Interessen durchzusetzen, die negativen Folgen aber bei den Unteren spüren lassen – gegen jene, die sich jedes Mal gegen Populismus aussprechen, aber ihn dann doch irgendwo mit ihrer Politik nähren.

Die unübersehbare Prinzipienlosigkeit der heutigen deutschen Politiklandschaft ist schädlich, denn man plättet unbedacht die vielen kleinen und großen Brücken, die zwischen Deutschland und der Türkei - nicht nur seit der Republikgründung - errichtet wurden. Natürlich kann man die deutschen Kaiserzeit und die folgenden Epochen nicht von politischen Interessen und wirtschaftlichen Schachzügen freisprechen, gleichwohl aber, das diplomatische Geschick der heutigen politischen Akteure in Frage stellen.

Darüber hinaus war die wirtschaftliche Verflechtung natürlich eine ganz andere. Die Strukturen durchlebten in den vielen Jahren auch selbst einen Wandel. Der kleine Bürger in Deutschland war damals von Interessenskonflikten nur gering betroffen, seine Rolle stieg kontinuierlich im Rahmen der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Deutschland und der Türkei.

Der türkische Historiker Cemil Koçak beschreibt in seiner Arbeit mit dem Haupttitel „Türk – Alman ilişkileri (1923 - 1939)" [Türkisch – Deutsche Beziehungen (1923 – 1939)], dass der im Januar 1927 unterzeichnete Wirtschaftsvertrag eine besondere Auffälligkeit besaß – man wäre der Türkei damit auf Augenhöhe begegnet, anders als die anderen Großmächte, die ihre Macht bei der Aushandlung von gemeinsamen Wirtschaftsabkommen zum Ausdruck gebracht hätten.

Auch wenn sich bei näherer Betrachtung herausstellt, dass Deutschland den größere Nutzen erzielen konnte, so kann man das nicht unbedingt aus dem Vertrag folgern, sondern viel eher an der Inkompetenz der türkischen Wirtschaftsfachleuten in den ersten Jahren der türkischen Republik ausmachen.

Viele deutsche Firmen - wie Siemens oder Krupp – können Tätigkeiten in der Türkei zurückblicken, die hundert Jahre und länger zurückreichen. Dafür werden diese Unternehmen in der Türkei geschätzt, für ihre hohen, vorbildlichen Qualitäts- und Arbeitsstandarts, die sich in den Dienstleistungen, Produkten und den Beschäftigungsverhältnissen ausdrücken. Im geistigen Sinne teilt man sich wohl auch die Bedeutung der Tradition im positiven Sinne.

Das Vertrauen der deutschen Unternehmen in die Türkei wurde zuletzt auch von einigen wichtigen Unternehmen selbst zur Sprache gebracht.

Erst kürzlich erklärte „KPMG"-Experte Marcus Schüller dem Nachrichtenportal „N-TV", dass sich das deutsch-türkische Verhältnisse auf „einem Tiefstand" befände. Wenn es keine Mäßigung gebe, wäre „ein massiver wirtschaftlicher Schaden auch für deutsche Unternehmen kaum abzuwenden", zitiert „N-TV" die Aussagen von Schüller.

„Man kann gar nicht genug betonen, wie eng Deutschland und die Türkei wirtschaftlich miteinander verflochten sind. Als Handelspartner rangiert die Türkei für Deutschland auf Platz 15 - beispielsweise vor Japan und Russland. Deutschland ist der größte Handelspartner der Türkei. Im Jahr 2016 ging knapp ein Zehntel aller türkischen Exporte in die Bundesrepublik - hauptsächlich Textilwaren, Motorteile und Kfz-Zubehör. Aber die Handelsbilanz zeigt keineswegs die ganze Bedeutung dieser Partnerschaft für die deutsche Wirtschaft. Türkische Zulieferer und Produktionsstandorte deutscher Unternehmen in der Türkei sind elementare Bestandteile der Liefer- und Produktionsketten unserer Industrie. Man denke nur an die großen deutschen Autozulieferer und -hersteller, die alle in der Türkei produzieren. Jede Beeinträchtigung dieser Wirtschaftsbeziehungen würde sowohl der Türkei als auch Deutschland massiv schaden.", so Schüller.

Die negativen Auswirkungen der Türkei-Politik würden „sich erst mittel- bis langfristig zeigen". Politische Stabilität in den Beziehungen sei notwendig, da die großen Konzerne „langfristige und hochkomplexe Fragen" vor Augen hätten, wenn es um neue Standorte gehe. Bisher seien die deutschen Unternehmen in der Türkei keinen Problemen oder Repressionen ausgesetzt worden, auch wenn das politische Klima die Unternehmen sehr wohl interessiere.

„Doch was Unternehmen sich wünschen, ist klar: Deeskalation! Ich wünsche mir, dass auf beiden Seiten die Emotionen aus der Auseinandersetzung herausgenommen werden und dass die Lage neutral und sachlich analysiert wird", fordert Schüller.

Es ist zu hoffen, dass die Wogen in der Politik spätestens nach der Bundestagswahl einigermaßen wieder geglättet werden. Dem Bedarf jedoch auch ein Umdenken der deutschen Politik. Zugeständnisse und Kompromisse sind auf beiden Seiten nötig. Dabei darf Deutschland nicht versuchen die Türkei abzustrafen, indem es seinen politischen Einfluss ausspielt. Im Gegenzug wird die türkische Regierung mit Sicherheit erneut auf Deutschland zugehen – vorausgesetzt man begegnet sich auf Augenhöhe. Eine verschärfte Rhetorik ist schädlich, und sollte deshalb sowohl auf der deutschen, als auch auf der türkischen Seite vermieden werden. In diesem Sinne fällt auf die türkischen Berater der AK-Partei Regierung und des Präsidenten große Verantwortung, denn sie vermitteln ein Stück weit die deutsche Politik in die Türkei.

Burak Altun hat Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der WWU Münster studiert. Aktuell arbeitet er als freier Journalist für Daily Sabah und studiert Wissenschaftsphilosophie.

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