Italien schürt Furcht vor neuer Euro-Krise

REUTERS
ROM
Veröffentlicht 29.05.2018 00:00
Aktualisiert 29.05.2018 14:44
EPA

Die politischen Turbulenzen in Italien rufen die EZB und die Notenbank in Rom auf den Plan, die vor einer neuen Euro-Krise warnen. Italiens Notenbankchef Ignazio Visco schaltete sich am Dienstag mit einer Brandrede ins Geschehen ein und sagte, das Land sei "nur wenige kleine Schritte" von der schwerwiegenden Gefahr entfernt, Vertrauen zu verspielen. Der scheidende EZB-Vizepräsident Vitor Constancio erinnerte daran, dass Investoren das hoch verschuldete Land bereits 2012 attackiert hatten und sich die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt ändern könne: "Manchmal mit gravierenden Folgen", mahnte er im Gespräch mit "Spiegel Online".

Ob die Europäische Zentralbank im Notfall eingreifen und Italien vor einer Zahlungsunfähigkeit bewahren würde, ließ Constancio offen. Jede Intervention müsse "der Erfüllung unseres Mandats dienen" und "bestimmten Bedingungen" folgen. "Italien kennt die Regeln. Sie sollten diese vielleicht noch einmal genau lesen." Die ungewöhnlich deutlichen Worte der traditionell eher vorsichtig formulierenden Währungshüter fallen in eine heikle politische Phase in Rom: Nach monatelangen Hängepartie könnten schon bald Neuwahlen ins Haus stehen, bei denen ein europakritisches Bündnis gute Siegchancen hätte.

Diese von rechter Lega und populistischer 5-Sterne-Bewegung erwogene Allianz setzt auf höhere Ausgaben, obwohl sich in Italien bereits ein staatlicher Schuldenberg von mehr als 130 Prozent der Wirtschaftleistung auftürmt. Diese mit den EU-Stabilitätsregeln kaum zu vereinbarenden Pläne sorgen nicht nur in der Zentralbank für Alarmstimmung, sondern machen auch die Investoren an den Finanzmärkten zusehends nervös.

Wachsende Sorge um den Euro

Unter Anlegern wächst bereits die Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone: 13 Prozent erwarten für die kommenden zwölf Monate das Ausscheiden mindestens eines Landes aus der Währungsunion, wie die Investmentberatung Sentix in einer Umfrage unter 5000 Investoren ermittelte. Das ist der höchste Wert seit mehr als einem Jahr. Die Verunsicherung zeigt sich auch in einer Flucht der Anleger aus dem Euro. Die Gemeinschaftswährung rutschte zwischenzeitlich um 0,8 Prozent auf 1,1528 Dollar ab und markierte damit den tiefsten Stand seit zehn Monaten. "Das Gespenst einer nächsten Euro-Krise macht die Runde", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets.

Investoren warfen auch Staatsanleihen des Landes in hohem Bogen aus ihren Depots. Der Ausverkauf trieb die Rendite der zehnjährigen Titel auf ein Vier-Jahres-Hoch von 3,388 Prozent. Auch unter Managern und Verbrauchern in Italien macht sich Verunsicherung breit: Das Geschäftsklima fiel im Mai um 0,3 auf 104,7 Zähler, wie das Statistikamt Istat mitteilte. Das ist der niedrigste Stand seit Januar 2017. Das Konsumklima trübte sich ebenfalls ein. Hier fiel das Barometer vor dem Hintergrund der politischen Krise in Rom auf das niedrigste Niveau seit August 2017.

Italiens Präsident Sergio Mattarella hat knapp drei Monate nach der Wahl den Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Diese wird jedoch von den Wahlsiegern 5-Sterne-Bewegung und Lega abgelehnt. Im Herbst oder spätestens Anfang 2019 soll es laut Cottarelli Neuwahlen geben.

Diese Wahl werde de facto zu einem Referendum über den Verbleib Italiens in der Europäischen Union und der Euro-Zone, warnte Francesco Galietti, Chef der Politikberatung Policy Sonar: "Das ist eine existenzielle Gefahr für die Euro-Zone." Die Situation sei umso bedrohlicher, da der EZB die Hände gebunden seien, so Marcel Fratzscher, der Chef des Berliner Forschungsinstituts DIW: "Die EZB kann nicht sagen: Der politische Wille, aus dem Euro auszusteigen, ist vielleicht da - aber wir hindern die Regierung daran", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Eine Koalitionsregierung von Lega und 5 Sterne war an Mattarellas Veto gegen einen Euroskeptiker als Wirtschaftsminister gescheitert. Lega und 5 Sterne reagierten empört auf die Entscheidung und warfen dem Präsidenten Amtsmissbrauch vor.

Sowohl in der Lega als auch in der 5-Sterne-Bewegung wird geprüft, als Bündnis in eine Neuwahl zu ziehen. Meinungsumfragen zufolge könnte die fremdenfeindliche Lega mit deutlich mehr als den 17 Prozent der Stimmen rechnen, die sie beim Urnengang im März erhielt. Die 5-Sterne-Bewegung dürfte bei 30 Prozent bleiben. Dagegen dürften das Mitte-Links-Lager und konservative Parteien wie die Forza Italia weiter an Boden verlieren.

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