Bremer Abgeordneter soll Haftbefehl weiterverbreitet haben

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BREMEN
Veröffentlicht 30.08.2018 00:00
Aktualisiert 30.08.2018 14:23
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Nach der rechtswidrigen Veröffentlichung eines Haftbefehls im Fall des Chemnitzer Totschlags geht die Bremer Staatsanwaltschaft gegen den Bremer Bürgerschaftsabgeordneten Jan Timke vor. Der Landespolitiker stehe im Verdacht, den Haftbefehl auf Facebook weiterverbreitet zu haben.

«Wir haben einen Hinweis bekommen», sagte Oberstaatsanwalt Frank Passade am Donnerstag.

Timke ist Bundespolizist und Mitglied der rechten Wählervereinigung Bürger in Wut. Sein Dienstverhältnis bei der Bundespolizei ruht, solange er in der Bürgerschaft sitzt. Die Ermittler durchsuchten nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits am Mittwoch die Wohnung des Mannes in Bremerhaven. Darüber hatte zunächst Radio Bremen berichtet. Der Haftbefehl wurde inzwischen von seiner Facebook-Seite entfernt, sagte Passade.

Wie der Haftbefehl ursprünglich überhaupt ins Internet gelangt war und weiterverbreitet werden konnte, ist weiter unklar. Das teilweise geschwärzte Dokument wurde unter anderem auf Internetseiten der rechtspopulistischen Gruppe Pro Chemnitz, einem Kreisverband der AfD sowie des Pegida-Gründers Lutz Bachmann verbreitet.

Nach Paragraf 353d des Strafgesetzbuches kann mit bis zu einem Jahr Haft oder einer Geldzahlung bestraft werden, wer amtliche Dokumente eines Gerichtsverfahrens - wie einen Haftbefehl - veröffentlicht, «bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist».

Vier Tage nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen und anschließenden Demonstrationen mit Übergriffen auf Ausländer kommt heute Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach Chemnitz. Der sächsische Regierungschef stellt sich der Diskussion mit Bürgern. Gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) wolle sich Kretschmer beim sogenannten Sachsengespräch im Stadion mit den Menschen über eine Vielzahl von Themen austauschen, hieß es vorab.

Es wird erwartet, dass auch die Tötung des Deutsch-Kubaners zur Sprache kommt. Er war am Sonntag erstochen worden. Tatverdächtig sind ein 22-jähriger Iraker und ein 23 Jahre alter Syrer - einer von ihnen ist laut Staatsanwaltschaft Chemnitz mehrfach vorbestraft. Zwei Tage lang waren anschließend rechte Gruppierungen, gewaltbereite Hooligans und Neonazis durch Chemnitz gezogen. Nun hat die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz fast zeitgleich zur Kretschmer-Veranstaltung zu einer Demonstration am Stadion aufgerufen.

Die Polizei sichert beide Veranstaltungen auch mit Hilfe von Einsatzkräften der Bundespolizei sowie Bereitschaftspolizei aus fünf Bundesländern ab. Zuletzt war die Polizei bei den Demonstrationen am vergangenen Montag dafür kritisiert worden, zu wenige Einsatzkräfte vor Ort gehabt zu haben.

Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) rief angesichts der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz die Bürger zu mehr Engagement für ihre Heimat auf. «Das ist neben dem Schutz durch den Staat eine unverzichtbare Anstrengung der Bürger selbst», sagte er in der ARD-Sendung «Maischberger» am Mittwochabend. «Wenn man die Sache dem Staat überlässt und der Polizei, dann wird das nicht gelingen.»

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wandte sich gegen eine Verharmlosung der rechtsextremen Übergriffe in Chemnitz. «Auf den Straßen von Chemnitz äußern nicht besorgte Bürger ihre Ängste, sondern es werden Menschen gejagt», sagte Roth der Deutschen Presse-Agentur. Es handelten «keine Chaoten», sondern «organisierte Rechtsextremisten». Wer das relativiere, verharmlose offenen Hass und Rassismus. «Wer den Hitlergruß zeigt, wer pogromartig gegen alles hetzt, was nicht dem eigenen völkischen Rassenwahn entspricht, ist nicht Opfer, sondern Täter», betonte Roth.

Der Deutsche Richterbund verurteilt die Veröffentlichung des Haftbefehls. Der Vorfall sei geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Institutionen zu beschädigen, sagte sein Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Davor warnte auch der Beamtenbund dbb. Sein Vorsitzender Ulrich Silberbach sagte der Deutschen Presse-Agentur außerdem, unter den 4,6 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst könnten sich Menschen mit extremen Gesinnungen jeder Couleur eingeschlichen haben. «In all diesen Fällen gilt: Wer nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht, der möge seine Sachen packen und verschwinden.»

Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst G. Walter, warnte im «Handelsblatt», die Polizei könne schon längst nicht mehr die Sicherheit und Ordnung überall in Deutschland aufrecht erhalten. «De facto haben wir wegen des eklatanten Personalmangels heute schon temporär polizeifreie Zonen.» Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sieht die Sicherheitsbehörden am Limit. «Es gibt Räume, wo das Recht nicht durchgesetzt wird, weil es ein Vollzugsdefizit gibt», sagte er ebenfalls dem «Handelsblatt».

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