Erstes Spitzengespräch von Union und SPD

Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Chef Schulz beim TV-Duell vor der Bundestagswahl (WDR)

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen startet Kanzlerin Angela Merkel einen neuen Versuch, doch noch eine stabile Regierung zu bilden.

Rund 80 Tage nach der Bundestagswahl trifft sich die CDU-Vorsitzende am Abend mit den Chefs von CSU und SPD, Horst Seehofer und Martin Schulz, sowie mit den Fraktionschefs der drei Parteien. Gemeinsam wollen sie die Chancen für eine weitere schwarz-rote Koalition ausloten. Völlig offen ist noch, wie ein solches Bündnis aussehen könnte.

In der SPD gibt es erhebliche Vorbehalte gegen eine neue große Koalition nach klassischem Muster. Das von der Parteichef Schulz ins Gespräch gebrachte Modell einer Kooperations-Koalition stößt dagegen in der Union auf Ablehnung.

Merkel lehnt auch eine Minderheitsregierung ab, weil diese zu instabil wäre. Die Union müsste sich dann für ihre Projekte im Bundestag jeweils eine Mehrheit suchen. Scheitern alle Bemühungen um eine Regierungsbildung, blieben nur noch Neuwahlen als Ausweg.

Nach dem von Schulz zuletzt in der SPD-Bundestagsfraktion erörterten und von der SPD-Linken favorisierten Modell würden nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert. Andere Fragen blieben offen, sie würden später im Bundestag ausverhandelt. Das würde mehr Raum geben zur Profilierung - und für wechselnde Mehrheiten. Die CDU-Spitze kritisierte so eine Koalition mit nur teilweiser fester Zusammenarbeit als zu unsicher für das Land. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, der Vorschlag erinnere ihn an eine «Krabbelgruppe». Er halte davon gar nichts. «Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren. Das geht nicht.»

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte der «Rhein-Neckar-Zeitung», «nur ein bisschen schwanger» gebe es nicht. «Entweder macht man es richtig oder gar nicht.» Der frühere CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, sagte der «Bild»-Zeitung, eine große Koalition wäre sicher die stabilste Form, aber man müsse alles ausloten. «Wenn es mit der SPD nicht anders geht, als eine geduldete Minderheitsregierung zu bilden, dann würde ich das auf jeden Fall Neuwahlen vorziehen.»

Zumeist Politiker aus der zweiten Reihe meldeten vor Beginn der Gespräche nochmals Forderungen an. So sagte die neue stellvertretende SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, ihre Partei habe ihre Prioritäten auf den Tisch gelegt: Es gehe um die Solidarrente, die wirksame Begrenzung der Mietsteigerungen und das Ende der Zwei-Klassen-Medizin. «Ich erwarte von der Union ein klares Signal, dass sie sich an diesen Punkten bewegt. Dann kann man weiterreden.»

Stoiber betonte in der «Bild»-Zeitung: «Am Migrationskonzept der Union kann ich mir keine Abstriche vorstellen.» Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, verlangte in der «Bild»-Zeitung von der neuen Regierung, einen «Aktionsplan gegen Antisemitismus» umzusetzen.

Linke-Chef Bernd Riexinger warf Union und SPD vor, ein neues Regierungsbündnis ohne Ideen und mit angeschlagenem Führungspersonal anzusteuern. «Mit 53,5 Prozent ist diese Koalition tatsächlich nicht mehr wirklich groß und könnte sich deshalb MiKo (Mini Groko) oder VerKo (Verlierer Koalition) nennen», sagte Riexinger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte die Union, der SPD zu große Zugeständnisse zu machen. Eine Minderheitsregierung wäre besser für Deutschland, «wenn die SPD in Groko-Verhandlungen Maximalpreise erzielen will, die an politische Erpressung heranreichen», sagte Lindner der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Auch der CDU-Wirtschaftsrat machte sich für eine unionsgeführte Minderheitsregierung stark. Sein Präsident Werner Michael Bahlsen sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, eine erneute große Koalition sei für Deutschland viel zu teuer. «Es ist einfach gruselig, was die Sozialdemokraten alles an sozialpolitischen Maximalforderungen aufgestellt haben.»

Die deutsche Wirtschaft wird wegen der sich dahinziehenden Regierungsbildung langsam ungeduldig. «Wir müssen wissen, wohin die Reise geht», sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Die Wirtschaft braucht eine handlungsfähige und stabile Regierung. Je schneller, umso besser.»

Auch der Sozialverband VdK Deutschland forderte ein Ende des politischen Stillstands. «Das Land braucht eine handlungsfähige Bundesregierung, die tragfähige Lösungen für die existenziellen Fragen und Sorgen der Menschen wie die Absicherung im Alter, bei Pflegebedürftigkeit oder Krankheit findet», sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher der Deutschen Presse-Agentur.

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