UN-Generalsekretär Guterres: Rohingya sind vom Risiko einer ethnischen Säuberung bedroht

DPA
DHAKA, Bangladesch
Veröffentlicht 06.09.2017 00:00
Aktualisiert 06.09.2017 11:49
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Nach der Massenflucht hunderttausender Rohingyas aus Myanmar nach Bangladesch droht eine humanitäre Tragödie.

Hilfsorganisationen schlagen Alarm, weil Flüchtlingscamps voll seien und Geld zur dringend notwendigen Versorgung der Menschen fehle. Menschenrechtler werfen der einstigen Hoffnungsträgerin Myanmars, Aung San Suu Kyi, Tatenlosigkeit vor.

Die Rohingya seien von dem «Risiko einer ethnischen Säuberung bedroht», sagte UN-Generalsekretär António Guterres vor Journalisten in New York. «Den Muslimen aus Rakhine muss eine staatliche Nationalität oder zumindest vorerst ein gesetzlicher Status gegeben werden, der es ihnen erlaubt, ein normales Leben zu haben, sich frei bewegen zu können und Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Gesundheitswesen zu haben.»

Mindestens 123 000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingyas flohen zuletzt in gut einer Woche nach Bangladesch, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka mitteilte. Bei bis zu 80 Prozent dieser Menschen handele es sich um Frauen und Kinder, teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit. Täglich kämen weiter Tausende Flüchtlinge über die Grenze, berichtete die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf. Die UN-Hilfsorganisationen bräuchten für die nächsten drei Monate dringend 18 Millionen Dollar (gut 15 Millionen Euro) zur Unterstützung der Ankömmlinge. Die Menschen benötigten Zelte, Decken, Essen und medizinische Versorgung.

Seit Ausbruch der Gewalt in dem südostasiatischen Land Myanmar am 25. August sollen mindestens 400 Menschen getötet worden sein. Der Regierung zufolge hatten Rohingyas Polizei- und Militärposten angegriffen. Anschließend habe es Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und den «bengalischen Terroristen» gegeben, die einen «Islamischen Staat» im Norden der Provinz an der bangladeschischen Grenze aufbauen wollten. Dann hätten aufständische Rohingyas Dörfer in Brand gesetzt.

Nach Angaben geflüchteter Rohingyas waren es Soldaten, Grenzwachen und buddhistische Bewohner von Rakhine, die in den Dörfern Häuser angezündet hätten. Sie hätten auch auf Rohingyas geschossen.

Angehörige der muslimischen Minderheit werden im früheren Birma als illegale Einwanderer aus Bangladesch angesehen, selbst wenn sie seit Generationen in dem vorwiegend buddhistischen Land leben. Seit ihnen 1982 die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, sind sie staatenlos. Rund eine Million Rohingyas leben in Rakhine, sie können sich aber nicht frei bewegen und haben keinen Zugang zum Schulsystem. Die jüngste Gewaltwelle war nicht die erste in Myanmar.

Auch das überwiegend muslimische Nachbarland Bangladesch will die Rohingyas nicht haben. Nach dem aktuellen Gewaltausbruch verstärkte das Land zunächst die Sicherheit an seiner Grenze. Dutzende Rohingyas ertranken bei dem Versuch, den Grenzfluss Naf zu überqueren. In Bangladesch leben bereits etwa 400 000 Rohingya-Flüchtlinge - die meisten in der Küstenregion Cox's Bazar. Wegen möglicher negativer Auswirkungen auf den Tourismus dort will der Staat sie auf eine abgelegene Insel im Golf von Bengalen umsiedeln.

«Eine riesige Anzahl von Staatsbürgern Myanmars zu beherbergen, ist eine große Belastung für Bangladesch», sagte Premierministerin Sheikh Hasina. «Nur aus humanitären Gründen haben wir ihnen Unterschlupf gewährt.»

Bangladesch dürfe die Rohingyas nicht zurückweisen oder abschieben, sagte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Christos Stylianides. Zudem sei uneingeschränkter Zugang für Helfer zu 350 000 Schutzbedürftigen in Rakhine unabdingbar, «um zu versuchen, eine weitere Verschlechterung einer bereits ernsten humanitären Situation zu verhindern». Das Welternährungsprogramm hatte Hilfslieferungen in der Provinz aus Sicherheitsgründen eingestellt.

Als «Staatsrätin» ist die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi seit knapp eineinhalb Jahren de facto Regierungschefin von Myanmar. Sie ist zudem Außenministerin. Ende des vergangenen Jahres warfen ihr elf andere Friedensnobelpreisträger indirekt Mitschuld an einer «ethnischen Säuberung» vor. In einem offenen Brief forderten unter anderen Desmond Tutu, Malala Yousafzai und Muhammad Yunus die UN auf, etwas gegen die Verbrechen an der Minderheit der Rohingyas zu unternehmen, und prangerten die Tatenlosigkeit von Suu Kyi an.

Diese hatte den Nobelpreis im Jahr 1991 für ihren gewaltlosen Kampf für Demokratie und Menschenrechte in dem südostasiatischen Land erhalten, wo damals das Militär herrschte. Die Oxford-Absolventin stand zu der Zeit unter Hausarrest - insgesamt war sie 15 Jahre lang eingesperrt.

«Ethnische Säuberung ist ein zu hartes Wort, um zu beschreiben, was dort passiert», erklärte Suu Kyi im April in einem BBC-Interview. Viel mehr sagte die 72-Jährige seitdem nicht zu der Situation in Rakhine.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) rief Suu Kyi auf, mit ihrer moralischen Autorität die Gewalt gegen die Rohingyas zu verurteilen. Es sei «beschämend», dass sie das bislang nicht tue, sagte der stellvertretende Asien-Chef von HRW, Phil Robertson.

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