269 Tote durch Schüsse von deutschen Polizisten

DAILY SABAH
ISTANBUL
Veröffentlicht 20.05.2017 00:00
Aktualisiert 20.05.2017 18:05
DPA

Die Polizeigewalt in Deutschland ist ein ernstes, aber auch oft ein vernachlässigtes Thema der Politik. Opfer gibt es viele, doch gehört werden sie kaum. Schuld daran ist neben der Justiz auch die Polizei selbst. Sie sind für viele Situationen nicht genug vorbereitet und treffen in Panik falsche Entscheidungen – die Betroffenen sind dann die Leittragenden. Ein Problem ist auch der innere Zusammenhalt. Polizei-Kollegen können mit ihren Aussagen über Schuld und Unschuld entscheiden. Die Justiz legt der Polizei in der Hinsicht keine Steine in den Weg.

Besonders ernst wird das Thema der Polizeigewalt, wenn tödliche Schüsse fallen. Laut Recherche der „taz", wurden seit 1990 mindestens 269 Menschen durch die Polizei getötet. Demnach ist seit 2017 ein steigender Trend zu beobachten. 2016 erreichte die Statistik mit 13 Toten den Höchststand seit 1993. Die Polizisten können sich fast immer auf Notwehr berufen. In den meisten Fällen hätten die erschossen selber keine Schusswaffe zur Hand gehabt und oft würde es Menschen mit psychischen Erkrankungen treffen.

Im Juli 2013 ereignete sich ein Fall vor laufender Kamera, der in das Schema zu passen scheint. Damals stand Manuel F. nackt am Neptunbrunnen in Berlin. Er war zu dem Zeitpunkt unter Drogeneinfluss und litt an Schizophrenie. Er wird vor laufender Kamera erschossen als ein Polizist auf dem Brunnen im Rückwärtsgehen amateurhaft stolpert und einen tödlichen Schuss ablässt.

Auffällig bei der Statistik ist die Häufigkeit der Vorfälle in den Großstädten wie Hamburg, Berlin, München, Köln oder Mannheim. Die Opfer sind meistens männlich, zweidrittel ist jünger als 40. In Nordrhein Westfalen gibt es mit 56 Toten, die meisten Opfer der Polizeigewalt, gefolgt von Bayern (49) und Hessen (35).

Von den 269 Fällen, werden ganze 247 als Notwehrsituation eingestuft, und die 22 anderen Fälle als Unfall, wo Querschläger oder unbeabsichtigte Schüsse den Tod verursachte haben sollen.

Interessant ist auch die Statistik der getöteten Polizeibeamten. In fünf von acht Fällen sollen eigene Kollegen Schuld gewesen sein, etwa durch versehentliche Schüsse oder weil jene nicht als verdeckte Ermittler erkannt wurden.

Thomas Feltes, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, sieht große Mängel bei der Ausbildung und dem internen Umgang mit solchen Fällen. „Jeder Fall, in dem eine psychisch kranke Person Opfer von Polizeigewalt wird, muss durch unabhängige Ombudsleute oder Polizei-Beschwerdestellen aufgearbeitet werden – nicht nur polizeiintern. Wenn Fehler passiert sind, müsste Schadensersatz gezahlt werden, wie es in den USA regelmäßig der Fall ist."

Ein Hauptproblem bestehe in vielen Fällen darin, „dass Polizeibeamte ein Problem selbst und sofort lösen wollen, ohne geeignete Leute zurate zu ziehen." Man würde falsch und übereilig reagieren, was „unweigerlich zur Eskalation der Situation" führe.

„Ich habe nicht das Gefühl, dass die Polizei die Bedeutung des Problems wirklich realisiert. Sie tendiert eher dazu, ihr Handeln zu rechtfertigen und Fehler herunterzuspielen oder gar zu vertuschen. Mit der Begründung, in Notwehr gehandelt zu haben, wird der Einsatz dann legitimiert. Dabei wird die eigentliche Notwehrsituation oftmals erst durch den Polizeieinsatz ausgelöst. Die interne Aufarbeitung dringt auch nicht nach außen, dabei würde auch diese dem Ansehen der Polizei mehr nutzen als schaden", so Feltes.
Es gebe nicht genügend Fortbildungsmaßnahmen zum Verhalten von psychisch kranken Menschen und man würde in entsprechenden Notfallsituationen zu selten Psychologen und Psychiater zur Hilfe holen.

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