Die Vorläufer der Rettungsschwimmer im Osmanischen Reich - Tapfere Männer, die die Wellen in Angriff nahmen

ERHAN AFYONCU
ISTANBUL
Veröffentlicht 20.11.2018 00:00
Aktualisiert 20.11.2018 17:03
Istanbul im Zeitalter der Osmanen: Bewohner schwimmen im Marmarameer
Istanbul im Zeitalter der Osmanen: Bewohner schwimmen im Marmarameer

Die Türken sind nicht unbedingt für ihre Schwimmkünste bekannt. Andererseits fällt es einem aber auch schwer, in einem von Wasser umgebenen Land, nicht schwimmen zu wollen – vor allem im Sommer

Um Übermütige vom Ertrinken zu bewahren, übernahmen freiwillige osmanische Rettungsschwimmer große Verantwortung - und wurden für ihren Mut vielfach mit Orden ausgezeichnet.

Im Sommer sind türkischen Medien voll mit Nachrichten über ertrunkene Menschen. Nach Verkehrsunfällen ist dies die zweithäufigste Todesursache im Land. Dies ist kein neues Phänomen in der Türkei. Auch im Osmanischen Reich gab es sehr viele Menschen, die bei ihren Schwimmversuchen ertranken.

Die Türken hatten über Jahrhunderte hinweg in der Steppe gelebt - ohne mit dem Meer in Berührung zu kommen. Auch als sie zum ersten Mal nach Anatolien siedelten, hielten sie sich zunächst vom Wasser fern. Im Laufe der Zeit sollte sich das ändern: Einige Turkmenen, die in Küstengebieten lebten, waren mutig genug, sich dem Meer zu öffnen.

Viele prominente Seeleute wie Dragut (Turgut Reis) und die Brüder Barbarossa waren türkischstämmig. Trotzdem wagten sich nur wenige Menschen ans Meer ran. Deshalb gab es auch nur wenige Türken, die wirklich schwimmen konnten. Es war verboten, außerhalb der von der osmanischen Regierung vorgegebenen Badeorte schwimmen zu gehen.

Parallel dazu entwickelten sich aus Notwendigkeit heraus die Ursprünge der modernen Rettungsschwimmer, wie sie mittlerweile fast jeder aus dem eigenen Alltag kennt. Im osmanischen Reich bekam jeder, der einen Menschen vor dem Ertrinken rettete, eine Auszeichnung für seine Tat. Selman Soydemirs Recherchen zufolge war dies so üblich; seine Arbeit mit dem Titel "Hayat Kurtarana Osmanlı'dan Madalya" (Osmanische Medaille für Lebensretter) behandelt das Thema sehr ausführlich.

DAS RETTERABZEICHEN

Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts markiert zugleich den Beginn der Ordensvergabe für Lebensretter im Osmanische Reich. Zur Zeit von Sultan Abdülmecid I. (1839-1861) wurden dann neue Orden unter den Namen "Tahlisiye" (Rettung) und "Tahlis-I Can" (Rettungsschwimmer) vergeben. Später setzte sich die Bezeichnung "Rettungsschwimmerorden" durch. Er wurde nicht nur den Rettern potenzieller Ertrinkungsopfer verliehen, sondern auch den Menschen, die bei Katastrophen wie Feuer, Unfällen und Überschwemmungen das Leben eines anderen retteten. Doch dies war als Bedingung nicht genug.

DIE VERORDNUNG

Die Medaille von 1862 sah vor, dass man sein eigenes Leben riskiert haben musste, um ein anderes zu retten. Erst dann verdiente man die Auszeichnung. Daher wurde eine detaillierte und schriftliche Bestätigung von den Zeugen des Vorfalls verlangt. Es gab vier verschiedene Arten des Abzeichens: Demjenigen, der mehrere Leben gerettet hatte, wurde die höchste Auszeichnung verliehen. Bei der ersten mutigen Rettungstat bekam man ein Orden mit grünem Band. Jenes war bei der zweiten Rettungstat rot und bei einer dritten weiß. Für eine vierte Rettung wurde dem Empfänger ein Band mit allen drei genannten Farben übergeben.

MUTIGE RETTER

Es gab aber auch Fälle, wo nicht eindeutig zu bestimmen war, wem das Leben des Geretteten zu verdanken ist - weil es manchmal mehrere selbsternannte Retter gab. So auch bei jenem Vorfall, der sich am 28. August 1904 auf der Fähre «Haydarpaşa» von Pendik in die Altstadt Istanbuls ereignete. Während die Passagiere am Hafen von Kartal aufgeladen wurden, verlor einer davon - namentlich der Passagier Yanko, Sohn von Nikola - das Gleichgewicht und fiel ins Meer. Ihn dort wieder rauszuholen, war schwerer als gedacht, da er zwischen das Boot und die Anlegestelle fiel. Während Yanko zu ertrinken drohte, sprang Hamid, ein Marineoffizier aus Samsun, mit seiner Kleidung ins Meer und zog Yanko wieder hinauf zum Ufer. Obwohl er Wasser geschluckt hatte, überlebte Yanko.

Mehmet Raif, der Kapitän des Schiffes, der Bootsmann Hacı Mehmed, Chefingenieur Ali Rıza und der Ticketverkäufer vom Hafen im Bezirk Kartal berichteten über den Fall und verlangten einen Preis für den mutigen Seemann. Nur drei Tage später wandte sich die Stadtpolizei von Kartal mit derselben Forderung an die Stadtverwaltung von Kartal. Auch der Statthalter Mehmet Rasih erzählte seine Version der Geschichte. Am Ende setzte sich dann doch die Sichtweise des Seefahrers durch und er bekam seinen Orden von den Behörden überreicht.

Die Auszeichnung war nicht nur für Rettungsaktionen in Istanbul vorgesehen, sondern auch in anderen osmanischen Städten. Eine weitere aufgezeichnete Geschichte geht auf den 31. Juli 1906 zurück. Dabei geht es um einen armenischen Bürger namens Bağdasar aus Elazığ, der sich im örtlichen Seyhan-Fluss erfrischen wollte – nur schwimmen konnte er nicht, weshalb er die meiste Zeit auf dem sicheren Ufer verweilte. Aus Unachtsamkeit fiel er jedoch trotzdem irgendwann ins Wasser. Kurz vor dem ertrinken, entdeckten ihn die Kunden vom Kaffeehauses am Flussufer. Ein Angestellter des Cafes mit dem Namen Musa sprang schließlich in den Fluss und rettete ihm sein Leben. Da Bağdasar wegen des verschluckten Wassers zunächst nicht reagierte, wurde der Stadtarzt gerufen. Durch dessen Eingriff erlangte Bağdasar das Bewusstsein wieder. Die Augenzeugen berichteten der Polizei von dem Vorfall und schilderten Musas Tapferkeit. Der Vorfall wurde dann am 29. August 1906 dem Innenministerium gemeldet. Als Ergebnis der Korrespondenz wurde Musa ein Abzeichen verliehen.

ORDEN UND BESTIMMUNG

Der Silberorden war 36 Millimeter dick und wog 24 Gramm. Auf der Vorderseite der Medaille war die Unterschrift von Sultan Abdülmecid drauf – und auf der Rückseite die Aufschrift: "Diejenigen, die den Menschen helfen, wenn sie in Gefahr sind, werden in Erinnerung gehalten und gepriesen."

Er war für Menschen gedacht, die alles gegeben und sich in Gefahr gebracht hatten, um das Leben eines anderen zu retten; die Auszeichnung durfte von ihrem Besitzer jederzeit getragen werden.

Der Rettungsorden war für diejenigen, die ihr Leben riskierten, um Menschen zu retten, die im Brandfall nicht entkommen konnten, die Gefahr liefen im Meer, im Fluss oder in Seen zu ertrinken, und die sich bei einem Erdbeben und ähnlichen Katastrophen nicht selbst retten konnten. So beschreibt es Selman Soydemir in seinem Buch "Hayat Kurtarana Osmanlı'dan Madalya".

SEEBAD

Zur Zeit des Osmanischen Reiches gab es keine Strände, wie es sie heute in der Türkei überall an den Küstengebieten gibt. Dennoch genossen die Osmanen das Sonnenbaden und das Schwimmen im Meer. Basierend auf den Bedürfnissen, die damals an die islamischen Praktiken angelehnt wurden, kamen spezielle «Badewannen» in Betrieb. Die so genannten Seebäder waren umzäunt, so dass die Sicht von Außen abgesperrt wurde. Es entstanden mit der Zeit geschlossenen Badeeinrichtungen mit einem Pool in der Mitte. Die Meeresbäder, die für Männer und Frauen getrennt zugänglich waren, konnte man an verschiedenen Orten finden. Die Menschen schwammen, sonnten sich und genossen ihre Zeit dort.

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