Wir sind die Guten – Der Hintergrund undemokratischer Verhaltensweisen und Standpunkte in Europa

ABDÜLAZIZ AHMET YAŞAR @ahmetyasar92
Veröffentlicht 15.03.2017 00:00
Aktualisiert 16.03.2017 16:16

Wer Sind die Guten

„Wir sind die Guten" ist ein Buch von Schreyer und Bröckers mit dem Untertitel „Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren". Das Buch behandelt die Dämonisierung Russlands und dessen Präsidenten Putins seit der Krise in der Ukraine, die im Jahre 2014 ausgetreten ist. Obwohl vor der Krise zahlreiche Kooperationen zwischen dem Westen und Russland insbesondere in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Energiehandel stattfanden, belebte ein Interessenkonflikt die Rhetorik des Kalten Krieges wieder. Russland wurde zum neuen Feindbild des Westens.

Der Prozess der Feindbildkreierung hat zwei Hauptmerkmale: Die Erklärung und ohne Zweifel daran hegen zu dürfen essentialistischen Eigenschaften Europas von ihrer Natur her Gut zu sein. Europäer und Westler sind in allen Fällen die Guten, sie können niemals die Intention haben etwas Böswilliges oder gar Schlechtes zu bewilligen. Aufgrund ihrer Historie der Zivilisierung, dem Erbe und der Gründerväter der liberalen Demokratie, außerdem allen modernen Errungenschaften zu sein, schuldet der Rest ihnen etwas Unbestimmtes für dieses Erbe. Dieses Erbe ermöglicht ihnen stets die Selbstwahrnehmung als das Gute, unabhängig davon welche Haltung sie einnehmen oder welche Tätigkeiten sie ausführen.

Die Vorannahme des Gut-Seins birgt in sich auch die Existenz und Definition des Gegenübers: die Seite des Bösen. Unabhängig seiner Eigenschaften, Einstellungen, Normen und Ideen, ist das Gegenüber seiner Natur entsprechend stets unabdingbar böse. Eine offensichtliche Ausführung dieser Betrachtungsweise wird nicht in dieser Art ausgesprochen, doch hat sie sich im Unterbewusstsein derer manifestiert, die auf Grundlage ihrer Feindbilder kreieren und basierend auf ihr, den Referenzpunkt ihres Urteilsvermögens und ihrer Beurteilungen stellen. So, wie diese Methodik gegenüber Russland verwendet wurde, wird sie seit geraumer Zeit gegenüber der Türkei und deren Präsidenten Erdoğan angewendet. In diesem Artikel wird dies an gegenwärtigen Beispielen näher erläutert und somit offensichtlich dargestellt, welche Intention hinter dieser Art von Rhetorik und Verhalten steckt.

Der Fall Erdoğan und die Türkei

Die Volksabstimmung in der Türkei, die am 16. April diesen Jahres stattfinden wird, ist eine Entscheidung über Verfassungsreformen, die vom Parlament der türkischen Republik beschlossen wurden. Grundsätzlich ist es eine Entscheidung darüber, ob die Exekutive ab dem Jahre 2019 durch eine Präsidialdemokratie ausgeführt, oder ob das derzeitige Regierungssystem beibehalten werden soll. In Deutschland leben ca. 1,5 Millionen wahlberechtige Bürger mit der türkischen Staatsbürgerschaft, hunderttausende sind wohnhaft in weiteren, hauptsächlich westeuropäischen Ländern. Da der Volksentscheid auch diese Wähler betrifft, betreiben Politiker aus der Türkei, entsprechend ihrer jeweiligen politischen Standpunkte, Wahlkampf für ein ‚Ja' oder ‚Nein'. Während Politiker und Bürger für ein ‚Nein' werben können, wird dieses Recht jedem, der für ein ‚Ja' werben möchte, verwehrt. Angefangen mit der Absage des Zusammenkommens des türkischen Justizministers Bekir Bozdağ mit den türkischen Wahlberechtigten in Gaggenau, folgten weitere Absagen für Meetings weiterer Minister, ausschließlich mit willkürlichen Begründungen.

Bemerkenswert ist die Berichterstattung westlicher Medien seit dem gescheiterten Putschversuch seitens einer Gruppe im Militär. Immer wieder ist von einer Involvierung des türkischen Präsidenten in den Putschversuch die Rede, mit der Behauptung, Präsident Erdoğan würde mit diesem Putschversuch seinen Weg zum Despotismus freimachen. Die seitens der Putschisten ermordeten 179 Zivilisten finden nirgends Erwähnung, da sie zu den Bösen gehören. Da sie nur der Kollateralschäden auf dem Weg Erdoğans Richtung Despotismus seien, verdienten sie es nicht im Bewusstsein der Europäer Achtung zu finden, nicht einmal zu existieren.

Dieses (Un-)Bewusstsein stellt das Hauptmerkmal der allgemeinen Meinung in den meisten europäischen Ländern dar. Demzufolge ist die Ignoranz das Resultat einer Hegemonie über universelle Werte, die der Westen für sich beansprucht, da diese nur von ihm verstanden, vertreten und implementiert werden können.

Die kurzfristigen Absagen seitens der Behörden werden durch die Argumentation untermauert, dass ausländischen Politikern Kampagnen, die ihr eigenes Land betreffen, untersagt werden sollen. Dies könnte eine schlagkräftige Argumentation sein, wäre dort nur nicht die Tatsache, dass amtierende Politiker der Grünen und der Linken öffentlich für ein ‚Nein' plädieren und sogar selber Wahlkampf betreiben – wohlgemerkt für eine Abstimmung im Ausland, deren Inhalt einen ausländischen Staat betrifft.

Es ist ironisch, dass politische Kampagnen derer verboten werden, die für ihre Agenda, in Beziehung zu ihrem Land, an ihre Wähler appellieren, jedoch Kampagnen jener erlaubt werden, die für eine ausländische Abstimmung, in ihrem eigenen Land Wahlkampf betreiben, obwohl die Wählerschaft für sie komplett aus ausländischen Staatsbürgern besteht.

Mitglieder der Linke(n) halten Zettel mit ‚Hayır' hoch

Dieselbe Doppelmoral konnte man in den Niederlanden beobachten. Obwohl der amtierende Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte, ausdrücklich davon gesprochen hat, ausländischen Politikern den Wahlkampf in den Niederlanden zu untersagen, traf sich der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident und Staatsminister der Türkei, Abdüllatif Şener, mit türkischen Bürgern in Rotterdam um für ein ‚Nein' zu werben.

Faysal Sarıyıldız, Abgeordneter der HDP, wurde öffentlich durch den Transport von Waffen an PKK-Mitglieder bekannt, was in Form von Videoaufnahmen dokumentiert wurde. Die PKK wird seit vielen Jahren vom Verfassungsschutz als Terrororganisation eingestuft. Dies ist offenbar für die Behörden in Deutschland und die Justiz nicht Grund genug, um öffentliche Sitzungen, wie diese Veranstaltung in Köln, an denen Sarıyıldız teilnimmt, zu verbieten.

Mit Sicherheit kann man sagen, dass das Verständnis der Guten davon ausgeht, auch ihre Partner, unabhängig ihrer Aktivitäten und ihrer Standpunkte, in jedem Fall zu den Guten zu zählen. Durch diese Allianz ist ihr Dasein legitimiert und kann nicht in Frage gestellt werden. Dies ist der Hintergrund der Ansichtsweise, weshalb und wie europäische Politiker, Beamte und Journalisten mit zweierlei Maß messen, ohne dies selber einsehen zu können, oder zu wollen. Diese Ansichtsweise ist tief verankert im Unterbewusstsein und wiederzufinden in Ideen, Persönlichkeiten und Herangehensweisen.

Die Geschehnisse in der Nacht des 11. März 2017 in Rotterdam wurzeln in einer essentialistischen, vorurteilshaften und willkürlichen Haltung gegenüber der Türkei. Indes sind diese Entscheidungen nicht nur von unbewusst geführtem Handeln, sondern durch eine spezifische Agenda motiviert. Im Falle der Niederlande wird es die Parlamentswahl am 15. März geben, in dessen Vorfeld der Rechtspopulist Geert Wilders in Umfragen führt. Mark Rutte, der in den Umfragen hinter Wilders und seiner Partei steht, missbrauchte mit diesem Vorgehen sein Amt, um möglichst viele Wahlerstimmen, insbesondere des rechten Spektrums, für sich sichern zu können und somit den Unterschied zu Wilders zu minimalisieren. Mit anderen Worten, benutzte er all die Werte, wie die liberale demokratische Grundordnung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und weitere, um nicht sein Amt abgeben zu müssen. Kurz gesagt, der böse Erdoğan ist stets nützlich für die guten Rutte, Wilders, Schulz, Merkel oder Le Pen. Ich denke, es ist mehr als offensichtlich was passieren würde, wenn einem/einer PolitikerIn der EU in der Türkei dasselbe wiederverfahren wäre. Freilich ist dies das Schicksal der Bösen, sie verdienen nicht einmal die Ausführung ihrer Grundrechte, da sie ja schließlich die Bösen sind.

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