Bewegt sich Österreich nach rechts? Eine Analyse über die Nationalwahlen in Österreich

ABDÜLAZIZ AHMET YAŞAR @ahmetyasar92
ISTANBUL
Veröffentlicht 30.10.2017 00:00
Aktualisiert 11.11.2017 17:25

Drei Koalitionsszenarien in Österreich werden bestimmen, in welche Richtung sich Österreich bewegen wird. Praktisch ist die Alte Wache in Österreich zu tief im Staatsapparat verankert, um eine sofortige und deutliche Verschiebung nach rechts in der Alltagsführung zu sehen.

Die Behauptung, Österreich habe sich ganz nach rechts verschoben, ist irreführend. Eine Mehrheit stimmte für Mitte-rechts und rechtsextreme Parteien, richtig, aber um die heutige österreichische Politik besser zu verstehen, müssen wir über die Wahlnacht hinausschauen.

Lassen Sie mich zunächst kurz das Wahlfieber in Österreich zusammenfassen.

Zum Beispiel sah man im Fernsehen überwiegend Debatten mit Kandidaten, die alle zusammen oder in Einzelgesprächen zusammengefasst waren.

Auf Seiten der Wähler gab es keine Ermüdungserscheinungen: eine hohe Beteiligung von knapp 80 Prozent wurde am Wahlabend verzeichnet.

Sechzehn politische Parteien bestritten die 183 verfügbaren Sitze für den Nationalrat - das nationale Parlament Österreichs. Lassen Sie uns nun den eindeutigen Sieger der Nacht präsentieren: Der 31-jährige Außenminister Sebastian Kurz und seine Neue Österreichische Volkspartei (Neue ÖVP).

Am Ende gewann Kurz mit 31,6 Prozent der Stimmen, gefolgt von den Sozialdemokraten (SPÖ) mit 26,9 Prozent, dicht gefolgt von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit 26 Prozent (der größte Erfolg der FPÖ seit 1996). Keine Plätze gab es für die zehn kleineren Parteien.

Jetzt braucht es eine Koalitionsregierung, da 92 Sitze im Parlament benötigt werden, um eine Mehrheit zu bilden, und keine einzige Partei hat dies erreicht - was in Österreich eine fast unmögliche Benchmark ist.

Konventionelle Weisheit würde voraussetzen, dass linksgerichtete Parteien jüngere Kandidaten nominieren, aber dieser stammt in diesem Fall aus dem Führerkader der konservativen ÖVP: Mit Sebastian Kurz wird Österreich seinen jüngsten Bundeskanzler haben. Er machte aus der oft als fehlende „Inspirationspartei" bezeichneten ÖVP eine Wahlmaschine im US-amerikanischen Stil.

Während in anderen europäischen Ländern politische Konflikte häufig in geschlossenen Hotel-Tagungsräumen, nicht aber in öffentlichen Diskursen auftreten, spaltete sich die Grünen-Partei hier in Österreich kurz vor der Abstimmung in zwei Hälften - um ihrer Wählerbasis zu erklären, was dann auch tatsächlich passiert ist.

Das Ergebnis? Die ursprünglich Grüne Partei ist nun raus und ihre Ablegerliste hat sich gerade ins Parlament geschlichen. Der Streit setzte sich auch nach Zählung der Stimmen vor den Kameras fort.

Was als „schmutziges Kampagnen" bekannt wurde, war eine Taktik, die, wenn sie sich bewahrheitet hätte, von Mitgliedern der SPÖ verfolgt worden wäre, um die ÖVP und insbesondere Sebastian Kurz zu bekämpfen.

Kampagnen wie diese, die in sozialen Medien stattfinden, werden selten anderswo in Europa eingesetzt. Interessanterweise hat es die Wähler nicht davon abgehalten, Kurz an die Spitze zu wählen

Und dann gibt es den möglichen politischen Einfluss.

Die ÖVP könnte sehr wohl eine Koalition mit der rechtsextremen FPÖ bilden. Doch am Wahlabend, als Parteiführer von neugierigen Fernsehankern gegrillt wurden, hörten wir die relativ EU-kritische Haltung der FPÖ - wenige Minuten nachdem die ÖVP ihre unerschütterliche Unterstützung für Österreich in der EU erklärt hatte. Dies ist jedoch immer noch das wahrscheinlichste Koalitionsszenario.

Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass das, was als „rot und blau" bezeichnet wird, den Knoten bindet; so hätte man es mit einer sozialistisch-rechtsextremen Koalition zu tun. Ein führender Politiker aus dem Burgenland hat bereits seine Sympathien für eine solche Bewegung erklärt. Diese mögliche Koalitionsbildung ist somit mehr als nur eine hypothetische Fantasie.

Und zu guter Letzt gibt es noch ein drittes Modell: die Fortsetzung der Großen Koalition - allerdings mit umgekehrten Rollen, denn Kurz wäre Kanzler und nicht mehr sein jetziger Vorgänger Christian Kern. Ein Umzug von Heinz-Christian Strache aus der FPÖ ist natürlich besorgniserregend.

Hat sich Österreich nach rechts verschoben?

Österreich ist an einem Scheideweg, richtig. Das Land muss entscheiden, ob es einen stärker marktorientierten Kurs mit Fokus auf Innovation, Unternehmertum und weniger Staat - einen „schlanken Staat" - wie Sebastian Kurz es formuliert, einleiten will.

Eine moderne, innovative, exportierende Nation muss per Definition der Welt offenstehen und darf sich nicht einmauern.

Österreich muss seine Arbeitslosenquote dringend reduzieren und gleichzeitig entscheiden, ob es ein CETA-Freihandelsabkommen will (auch eine öffentliche Abstimmung könnte auf den Karten stehen). Außerdem bedarf das Bildungssystem einer Erneuerung.

Jetzt, wo eine rechtsextreme Partei den Ministerien beitreten könnte, hat sich natürlich alles geändert. Der ungeschriebene - und im Wesentlichen dauerhafte - Konsens zwischen Sozialisten und Konservativen (wie auch im Europäischen Parlament in dieser Angelegenheit) hat einen bitteren Schlag erlitten. Aber dann wieder?

Waren es nicht die Konservativen, die die gegenwärtige Koalition mit den Sozialisten selbst abwählten und um Wahlen baten? War also überhaupt noch etwas übrig?

Selbst wenn sich die Rechtsextremen einem der beiden Koalitionsszenarien anschließen, in die sie aufgenommen werden könnten, würde das tägliche Regieren, die Kampagnen-Parolen im Vorfeld, ersetzen. Während der Wahlkampagne kann man leicht reden, dass ein Land nicht mehr Migranten und Flüchtlinge aufnehmen kann, aber wenn man einmal in der Regierung ist, sollten diejenigen, die bereits hier sind, Unterstützung und integrative Maßnahmen erhalten, und nicht mit noch mehr Ausgrenzung konfrontiert werden.

Meiner Meinung nach hat die FPÖ ihren möglichen Höchstwert erreicht, was Stimmen betrifft, und die Rechtsextreme würden auch nächstes Mal mehr Anti-FPÖ-Wähler mobilisieren und sogar eine beträchtliche Anzahl ihrer aktuellen Wählerbasis veräußern.

Österreich hat sich entschieden und schwingt mehr nach rechts als nach links, aber dies wird sich im Staat selbst nicht so stark äußern. Die sozialdemokratischen Gegenspieler der SPÖ sind dafür viel zu eingebettet in Bürokratie, Staatsapparat, Militär, Bildung und Alltag.

Auch wenn Österreich auf dem Papier dank der Freiheitspartei mittlerweile mehrheitlich mitte-rechts oder noch weiter rechts steht, gibt es immer noch mindestens 40 Prozent, die es eindeutig nicht sind. Wenn wir dann jene in der ÖVP zählen, die sich liberaler als die Hardliner verstehen, plus die 20 Prozent der Nichtwähler - ändert sich das Bild weiter.

Wenn eine Koalitionskrise folgen sollte, könnte sich alles noch einmal dramatisch verändern. Vielleicht würde man zurückkehren zu einem Zentrum oder Zentrum-Links-Szenario.

Die österreichische Abstimmung ist zwar ein klarer Schritt nach rechts, aber die Mehrheit der Bevölkerung rechtsextremistisch zu bezeichnen ist irreführend – obwohl es definitiv Grund zur Besorgnis gibt.

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