Vorgezogene Wahlen in der Türkei – und die Auswirkungen in der EU

KAAN ELBIR @kaanelbir
ISTANBUL
Veröffentlicht 07.05.2018 00:00
Aktualisiert 07.05.2018 15:10
DPA

Ohne Zweifel sind die für den 24. Juni 2018 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei ein großes Thema – nicht nur für die Bürger in der Türkei, sondern auch im Ausland und besonders in der Bundesrepublik. Es steht ein großes Fragezeichen im Raum, und niemand kann genau voraussagen, wie die Entwicklung nach diesem historischen Tag fortschreiten wird.

Bereits im Vorfeld des Referendums zum Präsidialsystem war es zu nachhaltigen diplomatischen Krisen mit einigen EU-Staaten gekommen, deren Auswirkungen auch heute noch spürbar sind und immer wieder die Nachrichtenschlagzeilen bestimmen. Dies wirkt sich auch auf die europäischen Gesellschaften aus, in denen die Türkeistämmigen eine größere Minderheit bilden.

Die vielen Streitigkeiten, die während des Volksentscheids im vergangenen Jahr europaweit für Ärger sorgten, sind in den Köpfen der Menschen immer noch präsent. Die Verbote für Auftritte türkischer Politiker, umstrittene Entscheidungen kommunaler Behörden und verbale Auseinandersetzungen zwischen langjährigen verbündeten Staaten standen damals in den Schlagzeilen. Diese Umstände wirkten sich nicht nur negativ auf die bilateralen Beziehungen aus, sondern verursachten auch eine sichtbare und spürbare Spaltung innerhalb der Gemeinden.

In den Niederlanden kam es damals zu einem diplomatischen Skandal, nachdem die Behörden die Einreise des türkischen Außenministers in die Niederlande verhindert hatten und der türkischen Familienministerin das Betreten des türkischen Konsulats untersagt worden war.

Nach diesem Vorfall versammelten sich tausende türkische Staatsbürger vor dem Konsulat in Rotterdam, um friedlich ihren Protest gegen diese Aktion kund zu tun. Die Polizei ging harsch und kompromisslos gegen die Menschen vor. Durch den unverhältnismäßigen Einsatz von Knüppeln und Polizeihunden wurden hunderte Demonstranten verletzt.

Kurz danach stellte sich heraus, dass der Bürgermeister von Rotterdam einer stark bewaffneten Spezialeinheit die Erlaubnis erteilt hatte, im Notfall mit scharfer Munition zu schießen.

Im Anschluss dieser Vorfälle wurden alle diplomatischen Beziehungen zur niederländischen Regierung ausgesetzt.

Zu weniger brachialen, aber genauso unpassenden Aktionen, ist es auch in Deutschland gekommen. Diverse Hallenvermieter strichen urplötzlich die vereinbarten Mitverträge für die Referendumsauftritte türkischer Regierungspolitiker, nachdem das Thema medial hochgepuscht worden war.

Die Bundesregierung legte selbst keine Verbote auf, sondern verlagerte die Kompetenzen auf die kommunale Ebene. Mit diesem diplomatischen Schachzug setzte sie ihre angestrebten Verbote durch - ohne selbst die direkte Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Diese unliebsame Haltung ließ man jedoch nur gegenüber der AK-Partei Regierung walten. Oppositionelle Politiker der CHP und HDP hingegen konnten sich problemlos mit ihren Anhängern versammeln. Dies wurde von den deutschen Medien mit einer großen Selbstverständlichkeit aufgenommen. Deutschland schien schon fast wie ein Teil der türkischen Opposition zu sein.

Auch nach dem abgehaltenen - und von den Medien als „ Sieg Erdoğans" bezeichneten Referendumausgangs - änderte sich nicht viel an den Beziehungen zwischen der Türkei und den europäischen Ländern.

Für weiteren Zündstoff in den Beziehungen zur EU sorgt der aktuell immer noch waltende Ausnahmezustand, der nach dem vereitelten FETÖ-Putschversuch vom 15. Juli 2016 ausgerufen worden war und seitdem immer wieder verlängert wurde. In den westlichen Medien sprach man dann bereits schon vom „Ende der Demokratie" oder dem „Beginn der Diktatur". Die Kritik richtete sich dabei jedoch nicht gegen das Parlament, welches letztendlich die Aufrechterhaltung des Notstandes jedes Mal mit großer Mehrheit gebilligt hatte, sondern direkt gegen Präsident Erdoğan.

Die Tatsache, dass der sogenannte „Mann vom Bosporus" eine sehr große Volksunterstützung hinter sich hat – vor allem weil er sich nicht dem Status quo der von Westmächten dominierten Weltpolitik unterordnet – wird in der westlichen Berichterstattung gerne ausgeblendet.

Die feurige und teilweise undifferenzierte Kritik westlicher Politiker an der Türkei schwappte letztlich auch auf die Gesellschaft über. Die zunehmende Skepsis gegenüber Türkeistämmigen steigerte sich mancherorts zu gesteigerten Hassgefühlen, die dann in Angriffen gegen türkische Einrichtungen, Moscheen und Personen ausuferten. Diese Stimmung vermischte sich irgendwann mit der bereits salonfähigen Islamphobie zu einer rechtsradikalen Brühe.

Ob sich dieser Trend nach den vorgezogenen Wahlen am 24. Juni ändern wird, ist fraglich. Denn die insgesamt 3 Millionen wahlberechtigten Türkeistämmigen im Ausland – davon leben allein 1,5 Millionen in Deutschland - werden wieder eine tragende Rolle spielen. Daher sind die Auftrittsverbote für türkische Politiker bereits jetzt schon wieder im Gespräch – sowohl in der Politik als auch in den Medien.

Präsident Erdoğan setzte diesen Spekulationen vorläufig ein Ende, indem er erklärte, dass bisher nur ein Auftritt vor türkischem Publikum in Europa geplant sei – und zwar am 20. Mai in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Im Vorfeld war das Präsidentenamt mit tausenden E-Mails bombardiert worden, worin die Bürger ihren Wunsch äußerten, den Präsidenten vor Ort empfangen zu können. Dies war auch auf den Sozialen Medien spürbar.

Beim Auftritt in Bosnien werden schätzungsweise über zwanzigtausend Teilnehmer aus ganz Europa erwartet. Auch wenn der Weg nach Bosnien nicht für alle Unterstützer und Sympathisanten der AK-Partei und des Präsidenten machbar ist, werden gewiss am 20. Mai viele Herzen dort schlagen.

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