Ex-EU-Kommissar Verheugen: „Merkel ist unzuverlässig“

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ANKARA
Veröffentlicht 27.10.2017 00:00
Aktualisiert 27.10.2017 11:58
Ex-EU-Kommissar Verheugen: „Merkel ist unzuverlässig“

Der ehemalige EU-Kommissar für Erweiterung Günter Verheugen kritisierte am Donnerstag Bundeskanzlerin Angela Merkel und die jahrzehntelangen Beitrittsverhandlungen der Türkei.

„Die Europäische Union braucht die Türkei wahrscheinlich mehr, als die Türkei die Europäische Union braucht", sagte Verheugen bei einem Gipfel in Kocaeli. Thema des Gipfels war der Putsch des 15. Julis, der von der Stadt Kocaeli veranstaltet wurde.

Die Türkei beantragte 1987 eine EU-Mitgliedschaft, 2005 begannen die Beitrittsgespräche. Um Mitglied zu werden, muss die Türkei in 35 Kapiteln Verhandlungen abschließen, die Reformen und die Annahme von europäischen Normen beinhalten.

„Die Türkei wurde während ihres Beitrittsprozesses diskriminiert", so Verheugen. Viele andere Länder seien in der EU aufgenommen worden.

„In der Europäischen Union gab es bereits 2005 einen starken Wandel."

„Die Türkei wurde zum Sündenbock für die Niederlage im Referendum bezüglich der Europäischen Verfassung gemacht." Die Union habe das Interesse an der Erweiterung verloren. Es gebe „überall in Europa eine Erweiterungsmüdigkeit".

Er kritisierte auch Merkel für ihre Aussage, dass die Türkei nicht ein Mitglied der EU werden sollte.

„Ich war absolut schockiert, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Fernsehdebatte vor den deutschen Wahlen sagte, sie habe den Beitritt der Türkei nie unterstützt."

Im Gespräch mit dem türkischen Fernsehsender NTV sagte Verheugen, dass er Merkel aufgrund ihrer Bemerkungen unzuverlässig finde.

Ein Abkommen zwischen der EU und der Türkei sei 2016 „aufgrund ihrer Forderung und ihrer Initiative" abgeschlossen worden.

Bei dem Abkommen handelt es sich um das im März 2016 unterzeichnete Flüchtlingsabkommen, dass die illegale Einreise nach Europa über den Ägäis verhindern soll. Das Abkommen umfasste ein Hilfspaket in Höhe von sechs Milliarden Euro, um der Türkei zu helfen, sich um die drei Millionen Flüchtlinge im Land zu kümmern.

Auch Teil des Abkommen war die Beschleunigung des EU-Beitritts der Türkei und das Visumfreie Reisen für türkische Staatsangehörige innerhalb des Schengenraums.

„Die türkische Seite hat ihren Teil erfüllt und das Kanzleramt von Angela Merkel gerettet. Aber sie haben die Visafreiheit nicht bekommen", so Verheugen.

Die Türkei beherbergt derzeit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Welt. Ankara sagte, dass es seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs mehr als 20 Milliarden Euro aus ihrem eigenen Haushalt für die Hilfe und den Schutz der Flüchtlinge ausgegeben habe.

Bezüglich des Putschversuchs des vergangenen Jahres sagte der ehemalige Kommissar: „Wir müssen klarstellen, dass die Türkei eine voll funktionsfähige Demokratie ist und ein Versuch, diese Demokratie zu besiegen, ist ein schweres Verbrechen."

Er habe überall in Europa große Demonstrationen zur Solidarität mit dem Volk in der Türkei und ihrer Demokratie erwartet. „Stellen Sie sich vor dieser Putschversuch hätte in Italien stattgefunden und die Menschen hätten gegen die Panzer gekämpft und diese besiegt. Wie wäre die Reaktion? Diese Italiener sind echte Helden." Doch dies war nicht der Fall in der Türkei.

„Das ist völlig inakzeptabel", sagte Verheugen. „Das war ein schrecklicher Mangel an Verständnis, ein Mangel an gutem Willen, um die Türkei zu verstehen."

Am 15. Juli 2016 versuchte eine Gruppe des Gülenisten-Terrorkults (FETÖ) die demokratisch gewählte Regierung der Türkei zu stürzen. Der Putschversuch wurde von loyalen militärischen Truppen zusammen mit Polizeieinheiten und Millionen von türkischen Bürgern verhindert. 249 Menschen, hauptsächlich Zivilisten, wurden von den Putschisten getötet, während mehr als 2.000 Menschen verletzt wurden.

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