Vorgezogene Wahlen in der Türkei?

Veröffentlicht 21.03.2016 00:00
Aktualisiert 21.03.2016 11:36

Niemandem in der Türkei hat jemals das derzeitige Regierungssystem gefallen. Die Einführung eines gewählten Präsidenten macht die bereits verwirrende Situation noch komplizierter, dazu schafft es auch eine Vielzahl von Führungsmachthabern. Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Chefs der Gerechtigkeit- und Entwicklungspartei (AKP) haben das jetzige System in der Vergangenheit kritisiert. Sie behaupten, dass es notwendig ist, die Verfassung von 1982 zu reformieren und ein Präsidialsystem einzuführen, um die drängenden Probleme anzusprechen.

Die Oppositionsparteien, einschließlich der Republikanischen Volkspartei (CHP) und die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) sind auch keine Fans des aktuellen Systems. Um die Probleme zu beheben, so behaupten sie, muss die Türkei zurück zu ihrer ursprünglichen Version gehen, um das parlamentarische System zu stärken, indem die Legislative den Präsidenten wählt und nicht das Volk. Als Abdullah Gül sich entschloss als Präsident 2007 zu kandidieren, hatte das Militär fast die demokratisch gewählte Regierung verdrängt. Als die Regierung die Drohungen des Militärs ignorierte, trat das Verfassungsgericht dazwischen, um einen völligen Stillstand zu schaffen und vorgezogene Neuwahlen zu erreichen. Als Reaktion forderte die AK-Partei ein Verfassungsreferendum, um direkte Präsidentschaftswahlen einzuführen. Mit anderen Worten entstand das derzeitige System aus einer Konfrontation zwischen den gewählten Vertretern und außerparlamentarischen Kräften, die versuchen ihre Bedingungen auf Politiker zu drücken. Dies ist der Grund warum die AK-Parteiführung nicht das alte System einführen möchte.

Die AK-Partei ist jedoch nicht in der Lage die Verfassung im Alleingang zu ändern. Auch wenn die Partei ihre Mehrheit im Parlament wiedererlangt hat, sind sie nicht in der Lage genügend Sitze zu gewinnen, um die Gesetze allein zu ändern. Zurzeit hat die AK-Partei 317 der 330 Sitze, die benötigt sind, um ein Referendum auszurufen. Deshalb bemüht sich die Führung der AK-Partei mit der Opposition zu einer Übereinkunft zu kommen.

Die Abhängigkeit der AK-Partei von der Opposition in der Verfassungsreform hatte jedoch einen negativen Einfluss auf den Prozess. Kürzlich verließ die CHP-Führung die Verhandlungen aller Parteien, was die AK-Partei mit einigen wenigen Optionen dastehen lässt.
Die erste Möglichkeit besteht darin, die Verhandlungen abzusagen und sich auf eine Version des ursprünglichen Systems zu einigen, die die Vielzahl der Machtträger destabilisierte. Vorausgesetzt, dass keine politische Partei unter dem alten System in der Lage wäre zu regieren, könnten die Wähler bei der nächsten Wahl die Partei bestrafen.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, einen Verfassungsentwurf dem Parlament zu präsentieren. Somit könnte die AK-Partei-Führung den Wählern sagen, dass sie für eine Verfassungsreform Druck ausüben, aber die Unterstützung der Opposition wäre nicht zu erhalten.

Die dritte Option würde vorgezogene Wahlen bedeuten, falls das Parlament sich weigert ein Referendum auszurufen. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) verliert stetig Wähler, da sie nicht imstande ist, sich von der PKK zu distanzieren. Es bleibt unklar, ob die MHP die 10 Prozent nationale Wahlschwelle erreichen wird, um im Parlament bleiben zu können. Wenn alles gut geht, denken manche AK-Parteimitglieder, könnten sie bis zu 400 Sitze bei einer Neuwahl gewinnen. Doch weder Erdoğan noch Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sind bereit, diesen Vorschlag zu unterstützen.

Dies bring die vierte und letzte Option auf: Die Zusammenarbeit mit der MHP-Führung. In der Zukunft wird es wichtig sein, den MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli von der Nähe zu verfolgen. Obwohl er sagte, dass seine Bemerkungen über die Notwendigkeit eines Referendums falsch interpretiert wurden, war es bemerkenswert, dass Bahçeli sagte, er sei „strikt gegen eine Version des präsidentiellen Regierungssystems, der in den Totalitarismus gleiten könnte". Diese sorgfältig formulierte Erklärung zeigt, dass die MHP-Führung für das präsidentielle Regierungssystem offen sein könnte, unter der Voraussetzung der gegenseitigen Kontrolle.

Die AK-Parteiführung ist aber nicht mit der Einschätzung von Bahçeli einverstanden. Einige der älteren Mitglieder scheinen zu glauben, dass Bahçeli viel Zeit damit verbringt, über eine Verfassungsreform zu reden, um Zeit zu gewinnen und die Unterstützung seiner Partei wiederzuerlangen. Laut eines hohen Beamten der AK-Partei ist Bahçeli „weitgehend unberechenbar", da er eine Reihe von widersprüchlichen Erklärungen nach der Wahl im Juni 2015 gemacht hatte. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass die Unberechenbarkeit von Bahçeli den Weg für vorgezogene Wahlen ebnete und dazu beitrug, dass die AK-Partei ihre Mehrheit im Parlament wiedererlangte. Ein MHP-Beamter, der vor kurzem bei einer geschlossen Sitzung der Parteiführung teilnahm, sagte, dass Bahçeli besorgt über die Auswirkungen des Präsidialsystems für die Türkei sei, nachdem Erdoğan das Amt verlässt.

Im Licht der oben erwähnten Optionen, ist es möglich, vorgezogene Wahlen auszuschließen. Aber die Türkei könnte immer noch ein Referendum abhalten, um zu entscheiden, ob eine neue Verfassung und ein Präsidialsystem, das ist was notwendig sind.

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