Seehofer rebelliert gegen Merkels Richtlinien

DPA
BERLIN, Deutschland
Veröffentlicht 23.06.2018 00:00
Aktualisiert 23.06.2018 13:35
EPA

Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Asylpolitik will sich Innenminister Horst Seehofer nicht zurechtweisen lassen. Er werde sich auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht davon abbringen lassen, mehr Flüchtlinge als bisher an der Grenze abzuweisen.

Das sagte der CSU-Chef der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag). Es sei höchst ungewöhnlich, gegenüber dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU, mit der Richtlinienkompetenz zu drohen. «Das werden wir uns auch nicht gefallen lassen», sagte er und kritisierte: «Man hat im Kanzleramt aus einer Mücke einen Elefanten gemacht.»

Die CSU will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn diese bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Die CSU-Spitze hat Merkel bis Ende dieses Monats Zeit gegeben, die von ihr favorisierte europäische Lösung mit bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen zu erreichen. Andernfalls will Seehofer als Innenminister gegen Merkels Willen im nationalen Alleingang eine Abweisung an den Grenzen anordnen - ein Schritt, der zum Bruch des Unionsbündnisses und damit der Koalition führen könnte.

An diesem Sonntag wollen sich die Staats- und Regierungschefs von 16 der 28 EU-Staaten in Brüssel treffen, um an einer europäischen Lösung der Migrationsfrage zu arbeiten. Für den 28. und 29. Juni anberaumt ist ein EU-Gipfel geplant.

Seehofer bekräftigte, er habe der Kanzlerin kein Ultimatum gestellt, sie habe selbst um zwei Wochen Zeit gebeten. Er sagte der «SZ» weiter, er unterstütze eine europäische Lösung. «Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze. Weicher, offener, großzügiger kann man so etwas doch gar nicht angehen.» Auf die Frage, was dann passiere, antwortete er: «Dann wird es schwierig.»

Seehofer betonte in der «SZ»: «Wenn der EU-Gipfel keine wirkungsgleichen Lösungen bringt, werden Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, zurückgewiesen.» Er habe nie gesagt, dass die Grenzen hermetisch abriegelt werden sollten. «Es geht darum, dass man effektiv zurückweisen kann.» Dazu gehörten für ihn auch temporäre, anlassbezogene Kontrollen auch an anderen Grenzübergängen als den drei stationär kontrollierten in Bayern. «Wir werden das aber so machen, dass sich dort keine langen Staus bilden oder die wirtschaftlichen Beziehungen in grenznahen Orten ins Stocken geraten.»

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) schloss im «Kölner Stadt-Anzeiger» (Samstag) neue Kontrollen an den Außengrenzen seines Landes aus. Als Begründung führte er den gemeinsamen Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsraum mit den Niederlanden, Belgien und Luxemburg an.

Eine Abschlusserklärung nach dem Treffen an diesem Sonntag ist nach Angaben der Bundesregierung nicht geplant. In mehreren Ländern, etwa in Italien, hatte es Widerstand gegeben. Der Gastgeber des Brüsseler Treffens, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, hatte eine vierseitige Erklärung angepeilt. Nach deren Entwurf sollten die Teilnehmer eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. «Es gibt kein Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen», hieß es etwa in dem Entwurf.

Italiens Innenminister Matteo Salvini hatte dem «Spiegel» gesagt, Italien wolle angesichts Hunderttausender Ankömmlinge in den vergangenen Jahren Asylbewerber abgeben statt zurückzunehmen. Merkels Ziel bilateraler Vereinbarungen erteilte er eine Absage: «Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen.»

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani warnte die Mitgliedstaaten eindringlich vor Egoismus in der Flüchtlingspolitik. «Der Umgang mit der Zuwanderungsfrage darf nicht zur Zerstörung der Europäischen Union führen», sagte Tajani den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). «Handelt jeder Mitgliedstaat nur nach eigenen Interessen, wird die Gemeinschaft auseinanderbrechen.»

Die CSU will unmittelbar nach dem EU-Gipfel über das weitere Vorgehen entscheiden. Seehofer sagte der «SZ», nach der Ankunft eines Schutzsuchenden an der deutschen Grenze werde zunächst geprüft, wo die Person zunächst die EU betreten habe. Der Asylbewerber könne sechs Monate lang dorthin zurückgeschickt werden. «Dauert die Prüfung länger, etwa weil er klagt, wird Deutschland für ihn zuständig. Das ist das Problem. Denn innerhalb dieser Frist wird uns oft nicht einmal eine Antwort gegeben.» Daher seien Zurückweisungen von Migranten geboten, wenn sie anderswo als Asylsuchende registriert sind.

Seehofer sprach sich für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und dafür aus, dass im Mittelmeer gerettete Migranten nicht automatisch nach Italien oder Spanien gebracht werden, sondern etwa an «sichere Orte», beispielsweise in Nordafrika. «Das könnte rasch geschehen.» Auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage dort über eine Weiterreise nach Europa befunden werden könnte, sagte Seehofer: «Wo immer ich hinlange, gibt es Bedenken oder Probleme. Aber das ist doch kein Argument für ein «Weiter so». Wir müssen die Dinge anpacken und lösen.»

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) rief die Union via «Rheinische Post» (Samstag) auf, ihren internen Dauerkonflikt endlich zu beenden. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock riet der Bundeskanzlerin, sich über die Haltung der CSU hinwegzusetzen. «Kanzlerin Merkel muss beim Minigipfel in Brüssel klar machen, dass ihr Europa wichtiger ist als die rückwärtsgewandte Regionalpartei aus Bayern», sagte Baerbock dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag).

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