Misslungener Putschversuch in der Türkei: 161 Märtyrer

DAILY SABAH MIT AGENTUREN
ISTANBUL
Veröffentlicht 16.07.2016 00:00
Aktualisiert 16.07.2016 17:11
Misslungener Putschversuch in der Türkei: 161 Märtyrer

Bei einem misslungenem Putschversuch in der Türkei gegen den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, durchgeführt von einer Minderheit der Terrororganisation FETÖ, die sich in die Streitkräfte einfiltrierten, hat es zahlreiche Märtyrer und Verletzte gegeben. «Die Situation ist weitgehend unter Kontrolle», sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım am frühen Morgen.

Am Nachmittag gab Yıldırım in einer Presseerklärung bekannt, dass es 161 Märtyrer gibt; 1440 Menschen seien Verletzt worden.

2839 Putschisten wurden festgenommen teilte das Justizministerium in Ankara mit. Es gab schwere Explosionen, darunter am Parlament in der Hauptstadt Ankara. Auch am Morgen war die Lage noch unübersichtlich. In Istanbul waren noch Schüsse und Explosionen zu hören.

Staatspräsident Erdoğan sagte, bei den Putschisten handele es sich um eine Minderheit in den Streitkräften. «Wir haben mit der Operation begonnen, das Militär vollständig zu säubern. Und wir werden diese Operation weiterführen.»

Die Ereignisse in dem Nato-Mitgliedsland hatten sich zuvor überschlagen. Am späten Freitagabend begannen die Gülenisten mit einem Putschversuch gegen Erdoğan, wie das Militär mitteilte. Damit sollten unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederhergestellt werden. Zunächst hieß es, die Streitkräfte hätten die Macht in der Türkei übernommen.

Aus dem Präsidialamt wurde dies bestritten. Erdoğan sei nicht abgesetzt. «Das ist ein Angriff gegen die türkische Demokratie. Eine Gruppe innerhalb der Streitkräfte hat außerhalb der Kommandostruktur einen Versuch unternommen, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen.» Erdoğan rief in einem live übertragenen Telefonanruf beim Sender CNN Türk das Volk zu öffentlichen Versammlungen gegen die Putschisten auf.

Ministerpräsident Yıldırım wies das Militär nach Angaben aus dem Präsidialamt an, von den Putschisten gekaperte Flugzeuge abzuschießen. Kampfflugzeuge mit einem entsprechenden Auftrag seien von der Luftwaffenbasis Eskişehir abgehoben. Yıldırım bestellte alle Parteien für Samstagnachmittag zu einer Sondersitzung ins Parlament ein.

Erdoğan machte die Bewegung des im US-Exil lebenden terroristischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. «Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen», sagte der Staatspräsident am Morgen am Atatürk-Flughafen in Istanbul.

Erdogan sagte, er sei vor seinem Flug nach Istanbul in Marmaris an der türkischen Ägäis-Küste gewesen. Unmittelbar nach seiner Abreise hätten die Putschisten «diesen Ort leider genauso bombardiert».

Während des Putschversuchs hatte es aus dem Präsidialamt geheißen, Erdoğan sei in der Türkei und in Sicherheit. Präsident Erdoğan ist ein wichtiger Partner der Europäischen Union in der Flüchtlingskrise.

Nach einer zeitweisen Besetzung durch Putschisten nahm der Sender CNN Türk die Berichterstattung wieder auf. Soldaten waren in der Nacht in das Redaktionsgebäude in Istanbul eingedrungen und hatten die Mitarbeiter dazu gezwungen, den Sender zu verlassen.

In Istanbul waren in der Nacht Schüsse in den Straßen zu hören. Kampfjets flogen im Tiefflug über die Stadt. Gegen 02.40 Uhr Ortszeit (01.40 MESZ) wurde Istanbul von einer schweren Explosion erschüttert.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, bei einem Luftangriff der Putschisten auf das Hauptquartier der Spezialkräfte der Polizei in Ankara seien 17 Polizisten getötet worden. Außerdem sei ein Hubschrauber der Putschisten in Ankara von F-16-Kampfflugzeugen abgeschossen worden.

Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, in Istanbul seien sechs Zivilisten durch Schüsse getötet und fast hundert verletzt worden. Die Toten und Verletzten seien in ein Krankenhaus auf der asiatischen Seite der Stadt eingeliefert worden. Der Sender NTV berichtete, 13 Soldaten seien bei dem Versuch festgenommen worden, ins Präsidialbüro in Ankara einzudringen.

Im Istanbuler Stadtteil Tophane waren Dutzende Gegner des Putsches auf die Straße gegangen. Ein dpa-Reporter berichtete am frühen Samstagmorgen, die Menge habe unter anderem «Gott ist groß» und «Nein zum Putsch» gerufen. Fernsehsender zeigten Live-Bilder aus der Stadt: Menschen strömten in Massen auf die Straße und schwenkten türkische Fahnen.

In Ankara kam es einem Bericht des Senders CNN Türk zufolge zu Gefechten zwischen Polizei und den Putschisten. Diese habe die Polizeidirektion beschossen, hieß es. Augenzeugen berichteten von Panzern in den Straßen der Hauptstadt.

Einem Medienbericht zufolge hatten die Putschisten außerdem den Flugverkehr am Atatürk-Flughafen in Istanbul zwischenzeitlich gestoppt. Sie hätten den Tower am größten Flughafen des Landes am Freitagabend unter ihre Kontrolle gebracht, hatte die Nachrichtenagentur DHA gemeldet. Nach Erdoğans Aufruf drangen Demonstranten in das Flughafengelände ein. Die Putschisten seien daraufhin wieder abgezogen.

US-Präsident Barack Obama rief dazu auf, die demokratisch gewählte Regierung des Landes zu unterstützen. Gewalt und Blutvergießen müssten vermieden werden, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Ähnlich äußerte sich die Europäische Union.

Die EU verlangte eine «schnelle Rückkehr» zur verfassungsmäßigen Ordnung, wie es am Rande des Asien-Europa-Gipfels in Ulan Bator in einer gemeinsamen Erklärung von EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini hieß. «Die Türkei ist ein wichtiger Partner der EU.»

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg rief zu Zurückhaltung und Respekt vor den demokratischen Institutionen und der türkischen Verfassung auf.

Die Indonesischen und malaysischen Abgeordneten brachten ihre Unterstützung für die Demokratie in der Türkei Militärputsch zum Ausdruck.

Das indonesische Außenministerium äußerte sich am Samstag besorgt über die Situation in der Türkei, aber zeigte auch die Hoffnung, dass die Grundsätze der Demokratie aufrechterhalten werden. „Indonesien betont die Wichtigkeit der Achtung der Verfassung und das Prinzip der Demokratisierung", hieß es in einer Erklärung.

Unterdessen erklärte der malaysische Premierminister Najib Razak: „Wir beobachten getreu die Situation in der Türkei" in einem Beitrag auf seinem Twitter-Account.

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