Lange Haftstrafen für Verantwortliche des Soma-Minenunglücks

DAILY SABAH MIT AFP
ISTANBUL
Veröffentlicht 12.07.2018 00:00
Aktualisiert 12.07.2018 14:07
DHA

Vier Jahre nach dem verheerenden Bergbau-Unglück mit 301 Toten im türkischen Soma sind die Urteile in dem Mammutprozess gefallen: Ein Gericht im westtürkischen Akhisar verurteilte am Mittwoch fünf frühere Verantwortliche der Mine wegen Fahrlässigkeit zu Haftstrafen von bis zu 22 Jahren. Von den insgesamt 51 Angeklagten wurden 37 freigesprochen, darunter der oberste Chef der Betreiberfirma. Angehörige und die Opposition kritisierten die Urteile als zu milde.

In der Kohlegrube in der westlichen Provinz Manisa waren am 13. Mai 2014 nach dem Ausbruch eines Feuers rund 800 Arbeiter eingeschlossen gewesen. Binnen Minuten starben 301 Kumpel - sie verbrannten oder erstickten an giftigen Gasen. 162 weitere Bergleute wurden verletzt. Es war das schlimmste Bergbau-Unglück in der türkischen Geschichte.

Das Gericht in Akhisar verurteilte nun 14 der insgesamt 51 Angeklagten, darunter mehrere ranghohe Mitarbeiter wegen Fahrlässigkeit.

Den ehemaligen Minenchef Can Gürkan verurteilte das Gericht zu 15 Jahren Gefängnis. Auch vier weitere frühere hochrangige Mitarbeiter der Betreiberfirma wurden für schuldig befunden und erhielten langjährige Haftstrafen: Jeweils 22 Jahre und sechs Monate Haft wurden gegen den Geschäftsführer Ramazan Doğru und den technischen Leiter Ismail Adalı verhängt. Betriebsleiter Akın Çelik und Montageleiter Ertan Ersoy wurden zu je 18 Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Damit fielen die Strafen deutlich milder aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Die Anklagebehörde hatte für die Topmanager 25 Jahre Haft für jedes der 301 Todesopfer sowie drei weitere Jahre für jeden der 162 Verletzten gefordert.

Das Gericht in Akhisar verurteilte zudem neun weitere Minen-Mitarbeiter zu Haftstrafen zwischen sechs und elf Jahren. Der Vorsitzende der Betreiberfirma Soma Mine Company und Vater von Can Gürkan, Alp Gürkan, wurde freigesprochen. Er hatte stets seine Unschuld beteuert und betont, an der Aufklärung der Tragödie arbeiten zu wollen. Auch 36 weitere Angeklagte sprach das Gericht frei.

Verzögerungen bei den Ermittlungen und bei dem Prozess hatten die Familien der Opfer seit Beginn des Prozesses im Jahr 2015 frustriert. Bei der Urteilsverkündung kollabierten einige der Angehörigen, was die Richter dazu zwang die Verlesung zu unterbrechen. Nach der Bekanntgabe der ersten Urteile verließen die Verteidiger den Gerichtssaal. Sie hatten wiederholt lebenslange Haft für insgesamt elf der mehr als 50 Angeklagten beantragt.

Die Nachrichtenagentur Doğan berichtete, nach der Urteilsverkündung seien Verteidiger und Angehörige von Opfern aus Protest aus dem Gerichtssaal gestürmt. Einige seien aufgrund von Stress kollabiert und von Rettungssanitätern behandelt worden.

Angehörige der Opfer protestierten gegen das Urteil vor dem Gerichtssaal und die Richter wurden nach der Urteilsverkündung mit Wasserflaschen beworfen.

Gülsüm Çolak, die Mutter eines der Opfer, sagte, dass sie beim Prozess „keine Gerechtigkeit" haben finden können.

„Sie haben die Gerechtigkeit in einen Sarg gelegt und sie, wie auch unsere Kinder, begraben", sagte sie den Reportern vor dem Gerichtssaal nach den Verurteilungen.

Ali Arslan, der Leiter der Anwaltskammer von Manisa, deren Anwälte die Angehörigen vertraten, erklärte, dass das Urteil den Schmerz der Familien nicht gelindert habe. Das Gerichtsverfahren sei noch nicht zu Ende und man werde die Urteile anfechten.

Die Gewerkschaft DISK kritisierte, dass die Urteile wegen des Vorwurfs der Fahrlässigkeit gefällt worden seien. Die Minenbetreiber hätten nicht die nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, zudem seien die Arbeiter überbeschäftigt gewesen. „Das nennt man nicht Fahrlässigkeit oder einen Fehler. Das ist ein Verbrechen", sagte die Gewerkschaftsvorsitzende Arzu Çerkezoğlu. „Wir akzeptieren diese Entscheidung nicht."

Nach dem Unglück hatte die Türkei mehr als 24 Millionen türkische Lira Entschädigung an die Angehörigen ausgezahlt und Beschäftigungsmöglichkeiten in staatlichen Institutionen verschafft. Für viele Familien war der Lohn der Grubenarbeiter die einzige Einnahme.

Nach dem Unglück sind neue Regelungen eingeführt worden, um die Arbeitsbedingungen in den Minen zu verbessern. So wurde das Rentenalter für die Minen-Arbeiter von 55 auf 50 gesenkt und die wöchentlichen Arbeitsstunden auf 37,5 Stunden reduziert. Zugleich wurden die Gehälter der verdoppelt.

Auch die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. In Zukunft müssen die Unternehmen unter anderem Stationen mit Sauerstoffmasken und Nachführsysteme anbringen. Firmen, die die Arbeitssicherheit vernachlässigen, erhalten nun höhere Geldstrafen und werden von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen.

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